Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
bereit, nicht umzukehren, und wenn ich den Freund gewaltsam aus seinem verdammten OP-Raum reißen müßte.
    »Das freut mich, daß du mich besuchst«, begrüßte er mich beinahe blicklos. »Ich glaube, wir haben die Chance, Mr. Rugby durchzubringen. Fortgeschrittener Lungentumor. Wir haben den linken Flügel entfernt. Keine Metastasen und …«
    »Ich pfeif auf deinen Mister Soundso«, erwiderte ich grob. »Vielleicht hätten wir die Chance, deine Ehe durchzubringen.«
    »Wieso?« fragte er.
    »Liebst du Laura oder liebst du sie nicht?«
    »Natürlich liebe ich sie«, erwiderte er.
    »Dann benimm dich gefälligst auch so.« Er betrachtete mich stumm. Endlich sah ich in seinen kurzsichtigen Augen einen Schimmer des Begreifens.
    »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, daß du deinen Mr. Rigby jetzt anderen Ärzten anvertraust und mit Laura nach Florida verduftest, nach Miami oder nach Kuba oder noch besser nach Honolulu.«
    »Jetzt?« meinte er. »Unmöglich!«
    »Mein spätes Hochzeitsgeschenk«, entgegnete ich und überreichte ihm einen Scheck.
    Er nahm ihn, steckte ihn achtlos in seinen Ärztekittel wie eine Busfahrkarte. Ein paar Minuten später würde er ihn vergessen haben, und so er ihn – nach seinem Stethoskop greifend – fände, vermutlich mit seinem Erlös ein neues medizinisches Gerät anschaffen, das dann nicht ihm, sondern der Klinik gehörte.
    Ich hätte in das Gesicht, das ich mochte, schlagen können, und mußte an mich halten, es nicht zu tun. Verdammt, was ging mich seine Ehe an? Sollte ich mich in die edle Rolle eines Seelenklempners hineinsteigern, getrieben von der Angst, ich könnte mich an Laura vergreifen?
    »Mach dir keine Sorgen«, schloß Wolfgang, in Gedanken mehr bei seine Patienten als bei uns. »Ich kenne Laura.«
    »Wer weiß«, argwöhnte ich.
    Wir gingen vor der Klinik auf kurzgeschorenem, sattgrünem Rasen auf und ab. Ein paarmal sah Wolfgang hilflos nach dem Eingang. Er begriff schließlich, daß er nicht so schnell zu seinem Mr. Rigby zurück dürfte und vielleicht auch, daß sein Patient die kurze Abwesenheit des Arztes überleben würde; vor allem aber verstand er, daß er die überfällige Aussprache mit mir nicht vorzeitig abbrechen konnte.
    Ich wußte wenig über Laura. Ihre Vergangenheit war für mich ein Tabu gewesen und für Wolfgang eine Pathographie, die vielleicht unter seine ärztliche Schweigepflicht fiel.
    »Laura hatte eine schwere Enttäuschung hinter sich«, sagte Wolfgang unvermittelt, »sie war am Ende. Diesem seelischen Zusammenbruch folgte das berufliche Fiasko – und dann …«
    Ich wußte, daß Laura eine originelle Graphikerin gewesen war. Ich wußte auch, daß dieses unbarmherzige Land, das an seiner Tüchtigkeit krankte, keine Geduld für eine Genesende aufbringen konnte.
    »Jedenfalls«, schloß Wolfgang, »verlor sie ihren Job – und vielleicht auch ihre Fähigkeit.« Wir drehten um, der Wind stülpte seinen weißen Arztekittel hoch. »Das kann ich nicht beurteilen«, setzte er hinzu. »Aber ich hatte Laura die Depressionen genommen.« Er lächelte. »Na ja, und danach habe ich sie auch geheiratet.«
    »Du bist ein verdammt guter Arzt«, sagte ich. »Und ein miserabler Ehemann.«
    »Besser als umgekehrt«, entgegnete er.
    »Das weiß ich nicht«, versetzte ich, »das hängt davon ab, ob du Laura als deine Frau oder deine Patientin betrachtest.« Wir blieben vor dem Eingang stehen. »Eine Frage der Optik«, ergänzte ich.
    »Vergiß nicht, daß du kurzsichtig bist.«
    Wolfgang wirkte erleichtert, weil ich ihn wieder auf seine Station entließ.
    »So long«, rief er mir nach.
    Ich schickte Laura Blumen und Wolfgang ein paar erklärende Zeilen, als ich ohne Abschied von New York abflog.
    Auch in Algerien wurde geschossen und gemordet. Diese Erfahrung war für mich nicht neu. Ich wußte längst, daß ich als Phantast den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte, befangen in dem Aberglauben, die Welt bewahre sich den Frieden, den ihr die Erschöpfung beschert hatte.
    Gott kommt nicht oft nach Vietnam. Und Vietnam war überall. Ob es sich nun Algerien nannte oder Kenia, Kongo oder Kuba.
    Ich begegnete Gesichtern, die ich schon aus Indochina kannte. Vielleicht irrte ich mich auch; die Zeit hatte die Gesichter der Söldner uniformiert. Seit Hitlers Zeiten haben sich eigentlich nur Schnitt und Farbe der Uniformen geändert.
    In Algerien traf ich auch Major Martell, den Mandarin, wieder. »Immer, wenn ich Ihnen begegne«, sagte er süffisant, »verlieren

Weitere Kostenlose Bücher