Auf dem Rücken des Tigers
seltsames Gefühl, gleich einem Stich in einer vernarbten Wunde. Er wußte, daß es Eifersucht war.
Saufbruder, Sumpfhuhn, Tattergreis, schalt er sich aus und bangte, daß Jutta nicht zurückkommen könnte, wie sie nur nach draußen gegangen war, um sich frisch zu machen.
Jedenfalls geriet er in eine heillose Situation. Er kam sich lächerlich vor, wenn er zurückhaltend blieb, und noch lächerlicher, wenn er sich seiner Begleiterin nähern wollte. Was immer in der ersten Nacht vorgefallen sein mochte, hatte sich in den kommenden nicht wiederholt.
Es war weit nach Mitternacht.
Jutta gähnte und wollte zurück in die Mansardenwohnung, aber Christian handelte ihr noch eine Pinte ab. Beim Lokalwechsel bemerkte er, daß sie sich auf der Straße umdrehte, aber er maß ihrer Neugier keine Bedeutung bei: Jutta hatte die unbekümmerte Art ihrer Generation, die Umwelt durch ungenierte Augen herauszufordern.
Sie betraten die Stehkneipe.
Das Gespräch der Gäste setzte aus und ein lautes Hallo ein, rhetorische Gegenleistung für alkoholisches Mäzenatentum. Das Faß wurde aufgemacht.
Man war unter sich, auf der Flucht vor dem Beruf oder der Ehe oder der Krankheit. Irgendein Wechsel würde schon platzen morgen – doch heute war heute, und man tat gut daran, das Bewußtsein zu ertränken. Menschen, die einander nicht kannten – und sich auch tagsüber nie treffen würden – sprachen wie Freunde miteinander. Der Schnaps machte sie laut oder größenwahnsinnig, und er legte ihre Komplexe frei wie das Skalpell die Nerven.
Je mehr die Clique Christian auf die Schulter klopfte und trank, desto verwunderter wurde er, wie er eine solche Gesellschaft nicht nur aushalten, sondern auch noch aufsuchen konnte.
Während er noch eine Flasche bestellte, sah Jutta wieder zur Tür, kletterte vom Hocker und ging auf den Mann mit der Stirnglatze zu; Christian entging es. Der Mann, den sich Jutta vornahm, sah an ihr vorbei, aber er konnte nicht mehr ausweichen, als sie vor ihm stand. Einen Moment sah er sich unsicher um wie ein Hund, der sich in einen Metzgerladen geschlichen hat; er sah, daß der Fluchtweg abgeschnitten war, und seine Augen verlegten sich aufs Betteln.
»Keinen Durst?« fragte das Mädchen.
Die Stirnglatze deutete auf ein Bierglas.
»Keinen Appetit auf Whisky?«
»Ich trinke lieber Bier«, antwortete der Mann.
»Aber Whisky ist doch billiger«, entgegnete Jutta, »wenn man dazu eingeladen ist.«
Sie winkte den Keeper herbei. Flugs wie ein Magier zog der Kellner eine Tischplatte aus der Wand, und genauso flink stand die Flasche darauf.
Jutta goß ein.
»Eis?« fragte sie.
Er starrte ihre Beine an und nickte, ohne aufzusehen.
»Soda auch?«
»Ganz wenig«, antwortete der Mann, und seine Augen hatten sich von unten in die ungefähre Höhe ihres Busens durchgemogelt.
Jutta drückte ihm das Glas in die Hand: »Prost!«
Er folgte ihr mehr mechanisch als begeistert.
»Auf Ihren Auftraggeber.«
Er schüttelte verlegen den Kopf.
»Auch wenn sein Spesensatz nur Bier abwirft.«
»Weiß nicht, was Sie meinen«, murmelte die Stirnglatze. Der Dialekt paßte mehr in eine Sachsenhausener Apfelweinkneipe als in eine Schwabinger Stampe.
Der Mann mußte aus Frankfurt kommen. In der Mainmetropole war auch der Sitz des Schindewolff-Konzerns; der Verdacht war logisch, der Beweis brüchig.
Jutta betrachtete seinen schäbigen Anzug, das schmuddelige Hemd. Der Beruf dieses Mannes paßte wohl zu seinem schäbigen Habitus. Der Bursche roch nach ordinären Stundenhotels, nach Kupplerinnen mit Lockenwicklern, nach schnellem Ehebruch, nach feilen Beweisstücken, nach verschmiertem Bettzeug. Das Milieu, in dem er wühlte, war noch an ihm hängengeblieben wie Abfälle an einer Ratte. Jutta roch Müll und billiges Eau de Cologne, aber sie wußte, daß sie sich den Burschen kaufen könnte und daß er billig sein würde.
»Geld«, sagte Jutta, »mindestens dreimal soviel, wie man Ihnen jetzt bezahlt.«
»Geld – für was?«
»Für eine kleine Information.« Jutta ließ seinen Augen Zeit für ihre Hüften und lehnte sich zurück. Sie wußte, daß für ihre Zwecke die engen Blue Jeans so gut sein würden wie ein Minirock, aber wenn sie seine Hände sah, wurde ihr schlecht.
Sie mußte sich einen Augenblick abwenden.
»Geld – wann?« fragte die Stirnglatze. »Cash«, bestätigte Jutta, »bar.« Sie griff sich den Kellner am Arm und schickte ihn zu Christian, der sich an der Theke mit Tagedieben über Nutzlosigkeiten
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