Auf dem Rücken des Tigers
pittoresk oder nackt, zaghaft oder rüde. Sie probte die Zeugung auf unschuldig oder verhurt, auf jungfräulich oder abgebrüht. Sie parlierte während des Aktes in französischer Sprache, oder sie bombardierte ihn mit Zoten, wie sie einen Roßkutscher hätten erröten lassen. Je mehr sich seine Frau anstrengte, desto übermächtiger wurde bei Erik die Empfindung, daß sein Trieb mit Stumpf und Stiel ausgerissen würde.
Die Sinnlichkeit hatte sie einst zusammengeführt. Sie war die Basis ihrer Ehe gewesen. Sie hatten die Flitterwochen und ersten Jahre wie in einem orgiastischen Taumel verbracht. Sie waren froh gewesen, daß er nicht durch Schwangerschaft und Geburt unterbrochen wurde.
Aglaia mochte keine Kinder. Sie gab es nicht zu, aber Erik merkte es. Zunächst war es ihnen auch gar nicht aufgefallen, daß ihr Zusammensein ohne Folgen blieb.
Aber dann erfuhr Aglaia von der Seltsamkeit des Erbvertrags. Von da ab wurde das Vergnügen zur Pflicht, Liebesfreude zum Zeugungsakt. Aglaia hatte immer über reichliche Glut verfügt, aber nun, da sie die zwecklosen Abenteuer durch zweckgebundene Bettexerzitien abzulösen begann, wurde Erik zu einem schlechten Mitspieler.
Doch Aglaia erschloß neue Möglichkeiten. Sie maskierte sich als Hure oder Nonne; sie kompensierte die besten Konzeptionszeiten mit den unmöglichsten Plätzen. Im Lift und im Auto, hinter dem Garderobenständer und im Wald, im grünen Walde, hatte sie ihn zu Zeugungsversuchen gezwungen.
Aber es war nicht mehr herausgekommen als ein von Ameisen malträtierter Nacktarsch.
Erik spürte seine Haut; er brauchte Revanche.
»Christian kommt heute vielleicht«, sagte er.
»Du hast ihn eingeladen?«
»Er ist immer eingeladen«, erwiderte er, »und zudem unser Teilhaber.«
»Nach der familiären Sentimentalität«, entgegnete Aglaia, »nunmehr die kommerzielle.« Sie hörte aus ihrer Stimme eine Schärfe heraus, die sie sich sonst nicht erlaubte, und rügte sich dafür.
»Ist damit das Kapitel Christian erledigt?« fragte Erik.
»Vorläufig«, antwortete Aglaia und verließ den Raum. Es war ein Rückzug in die neutrale Ecke.
Erik sah ihr erleichtert nach. Sie hatte heute offensichtlich weder Zeit noch Lust, ihm vorzuhalten, daß er und sie als regierende Schindewolffs ein integraler Bestandteil der deutschen Volkswirtschaft auf der Kommandobrücke der freien Welt seien.
Er wunderte sich, daß Aglaia gegangen war und er doch ihre Stimme zu hören vermeinte. Sie redete in klarem Hochdeutsch. Mit dem gleichen Eifer, mit dem sie sich Jugend und Figur erhielt, hatte sie ihren fränkischen Dialekt wegtrainiert, bewundernswert auch hier.
Erik mochte sich die Ohren zuhalten ob der stummen Worte, Aglaia zitierte weiter aus der Festschrift. Jedes Wort, das sie sagte, stimmte – und schien ihm doch falsch. Er haßte unternehmerisches Pathos – und ließ es zu. Er mochte diese Frau nicht mehr – und war mit ihr verheiratet. Er wollte Christian helfen – und galt doch als ein klinischer Fall.
Er haßte sich – und war sich doch selbst der Nächste.
Von dem Moment an, da der Chauffeur mit der schwarzglänzenden Nobellimousine aus dem Schindewolff-Fuhrpark in München vorgefahren war, um Jutta und Christian abzuholen, erlebte das Mädchen ihre Umwelt verschoben, unwirklich, oszillierend und fremd.
Christian saß neben Jutta im Fond, und es ging ihm wohl ähnlich, obwohl er einige vergleichsweise nüchterne Tage hinter sich hatte. Widerwillig gestand sich Christian, daß das Mädchen in seinem Leben wohl mehr die Rolle einer Nurse als einer Freundin spielte. Er hatte Jutta versprochen, nach Aglaias Kulturempfang sich in das Müller-Sanatorium nach Starnberg zu begeben. Es war der Preis, den er für ihre Begleitung zahlen mußte. Ein Kuhhandel, bei dem am Ende wohl er der Ochse sein würde.
Wie sie zueinander standen, war immer schwerer zu klären: Sie glichen Reisenden, die sich auf langer Wegstrecke aneinander gewöhnt hatten; aber wann immer der Zug hielt, drohte das Aussteigen.
»Wollen wir nicht umkehren?« fragte das Mädchen. Der Wagen rollte zügig über die Autobahn, schon auf halbem Wege nach Frankfurt. Jutta wußte nicht, wie sie dazu kam, den Mann zu gesundheitlichen Exerzitien zu verleiten. Sie wollte nicht seine Krankenschwester sein.
»Wer ist dieser Arzt in Starnberg?« fragte sie.
»Er heißt Müller und ist so saugrob, daß ihn seine Patienten Prügel-Müller nennen.«
»Und du läßt dich von ihm prügeln?« fragte
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