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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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unterhielt. Er kehrte ihnen den Rücken zu und kramte gerade einen Packen Geld aus der Tasche.
    Erst jetzt bemerkte er, daß Jutta nicht mehr neben ihm saß.
    Christian sah das Mädchen neben der Stirnglatze und erschrak so, daß er sich an der Theke festhalten mußte. Er kam heran. Sein Gesicht wurde hart. Während er näher trat, sah er Jutta wieder als trojanisches Pferd in seiner Umgebung, als den gelungensten Schachzug seiner unsichtbaren Gegner.
    »Der Mann heißt Weiß«, kürzte Jutta seine Verwirrung ab. »Er kommt aus Frankfurt. Er wird dafür bezahlt, daß er in deinem – in unserem – Privatleben herumschnüffelt.«
    »Aber so ist das doch gar …« Der Detektiv sah Christians zorniges Gesicht und schwieg.
    »Sie haben die Wahl«, sagte Christian kalt, »zwischen Geld oder …«
    Die Umstehenden unterbrachen ihr Gespräch und verfolgten die Szene. Sie kamen näher, und Christian merkte, daß er, benötigte er Bundesgenossen, den Gratisschnaps heute nicht verschwendet hatte.
    Aglaia war wieder in ihrem Ankleidezimmer. Die Tür stand offen, und sie hörte, daß ihr Mann inzwischen gekommen war.
    »Erik«, rief sie.
    Er hörte und überhörte es. Er lag halb angezogen auf dem Bett und starrte zur Decke. Seine Gedanken spielten mit Möglichkeiten, die er nie realisieren würde. Er könnte Aglaias Galaveranstaltung fernbleiben; er könnte sich betrinken; er könnte einen Streit mit dem Gaststar des Abends oder der Dame des Hauses oder dem Monsignore des Papstes oder dem Bankier des Kanzlers provozieren.
    Er würde es nur nicht tun.
    »Erik«, rief Aglaia zum zweitenmal.
    Er blieb liegen. Er mußte sich dazu zwingen; er gehörte zu den Menschen, die selbst dann, wenn sie rebellieren, noch höflich bleiben.
    »Schlechte Laune?« fragte sie und trat ein.
    Sie blieb vor ihm stehen und lächelte ihn an. Eriks Erscheinung gefiel ihr immer wieder: helle, kluge Augen, Vorposten eines regen Verstandes. Seine Manieren waren tadellos. Aglaia hatte nichts an ihm auszusetzten, außer der Tatsache, daß er kein Mann war.
    Daß nur sie es wußte, war ein Glücksfall für beide und eine Waffe für seine Frau. Sie kannte die Bezeichnungen, die man sich hinter ihrem Rücken zuraunte: ›Seele des Konzerns‹ oder ›Kommandeuse von Schindewolff‹. Sie goutierte beides, obwohl das eine ein sprachlicher Unfug und das andere eine Frechheit war.
    Aglaias Augen wirkten auf Erik wie Röntgenstrahlen. Er konnte sich nicht abschirmen, schon gar nicht nach vierzehn Jahren Ehe, die wie eine Bleischürze an ihm hingen; doch er war kein Arzt, er war Patient. Nach vierzehn Jahren Musterehe, so wie man es zwischen Main und Rhein und Ruhr annahm. Sonst sagte man in diesen Kreisen, was man wußte; bei den Schindewolffs wußte man in diesem Fall nicht, was man sagte.
    Aglaia hielt ihm die Perlenkette hin wie ein Hundedressurband.
    »Sei so nett«, sagte sie.
    Sein Zorn blieb stumm, folgsam: Zum Bellen war er zu leise, zum Beißen zu zahm.
    Er erhob sich und legte ihr die Kette um den Hals, wiewohl er wußte, wie leicht sie es selbst tun könnte. Aglaia unternahm nichts grundlos. Er hatte begriffen, daß sie ihn zum Handlanger machen wollte; sie nutzte jede Gelegenheit, um ihm vorzuführen, für wie nichtsnutzig sie ihn in bestimmten Dingen hielt.
    Erik haßte dieses Haus. Seit langem vermied er direkte Begegnungen. In seiner weiträumigen Villa im Taunus war es möglich. Hier jedoch, in dem kleinen Bungalow, den sie in der Eifel erbaut hatten, um nicht in dem entzückenden, aber unbequemen Lustschlößchen wohnen zu müssen, bedingte die räumliche Enge körperliche Nähe.
    Sie verwirrte Erik, obwohl sie vor eineinhalb Jahrzehnten zwei so gegensätzliche Menschen wie die Tochter eines Kleinbürgers aus dem Fränkischen und den Miterben eines gewaltigen Industrie-Imperiums zusammengeführt hatte.
    »Danke«, sagte sie.
    Aglaia stand vor ihm, eine reizvolle Paarung von Würde und Eleganz: Er wußte, daß ihre Bekannten und Freunde sie sogar in ihrer Abwesenheit im rheinischen Nobel-Welsch als »ladylike« und »sophisticated« priesen. Nichts erinnerte an ihre Herkunft als Tochter eines kleinen Musiklehrers aus Bamberg, der Hymnen auf den Braunauer komponiert hatte, die vorübergehend und auch nur an wenigen Orten aufgeführt worden waren. Beim Einmarsch der Amerikaner war der Mann zusammengebrochen. Vom Balkon aus hatte er als Kaiser Wilhelm der deutschen Nation ins Gewissen gepredigt. Von den Siegern war er zuerst als Werwolf in ein

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