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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Jutta.
    »Ungern«, erwiderte er. »Es ist ein Freund aus – aus alten Zeiten.«
    »Komisch«, sagte sie, »Freunde besucht man doch gerne. Oder?«
    »Ja, aber vielleicht nicht, wenn sie Ärzte sind und man beim Besuch gleich in die Folterkammer gesteckt wird.«
    »Ein guter Arzt?«
    »Was ist ein guter Arzt?« entgegnete Christian. Sein Mund wurde hart. »Kennst du einen? Hast du schon einen getroffen, dem die Patienten nicht weggestorben sind?«
    »Aber du lebst doch noch?«
    »Das ist weder seine Kunst«, versetzte er und grinste wieder hämisch, »noch mein Verdienst.«
    »Immerhin …«
    »Er hat mir mal das Leben gerettet«, erläuterte Christian schließlich, »aber das war weniger medizinisch als militärisch.«
    »Und dafür haßt du ihn?«
    »Vom Krieg wollen wir nicht reden«, schloß er zornig.
    Jutta betrachtete Christian von der Seite, erfaßte, wie Erinnerungen aufeinanderprallten und sein Gesicht in eine Hauptkampflinie verwandelten. Er preßte die Lippen aufeinander. Sie wurden weiß, gerade, blutleer. Er schwieg eine Strecke von 50 Kilometern lang.
    »Warum fahren wir überhaupt«, fragte Jutta schließlich. »Willst du Bomben werfen?«
    »Ganz im Gegenteil«, entgegnete er. »Ich werde Aglaias Minen hochgehen lassen.«
    Seitdem Christian in einer Münchener Bar wohlfeil erfahren hatte, daß nicht die Furien des Alkohols, sondern die Schnüffler Aglaias hinter ihm her waren, wollte er nicht mehr kampflos weichen. Die Intrige seiner Schwägerin war zu durchschauen: Seine gesammelten Albernheiten wären wohl das richtige Material in der Hand eines schlüssigen Richters, ihn – ein wenig außerhalb der Freiwilligkeit – in eine Trinkerheilstätte einzuweisen. Von da ab wäre nur noch ein kleiner Schritt, ihm die Zurechnungsfähigkeit abzusprechen. Wäre das erst erledigt, stünde auch einer endgültigen Entmündigung nichts mehr im Wege. Die Frage war nur, wie Aglaia ihre Ränke hinter dem Rücken Eriks betreiben konnte – falls er, nicht wenigstens widerwillig – Komplize ihres Komplotts wäre.
    »Du haßt deine Schwägerin, nicht?«
    »Ach, weißt du«, er dehnte die Worte, »so viel Aufwand ist sie eigentlich gar nicht wert.«
    »Warum willst du sie provozieren, wenn du dich vor ihr fürchtest?«
    »Aglaia ist eine Frau zum Fürchten«, konterte Christian. »Aber ich habe keine Angst vor ihr, wenn du das meinst.« Er lachte lautlos. »Eigentlich bist du ein ganz gescheites Mädchen.« Er betrachtete Jutta rasch von der Seite. »Was machst du eigentlich?« brach er ein unausgesprochenes Abkommen.
    »Eigentlich nichts«, antwortete sie.
    »Ist das nicht zuwenig?«
    »Ich kümmere mich um dich.«
    »Ist das ein Beruf?«
    »Vielleicht eine Berufung.«
    Sie lachten beide. Kurz vor der Autobahn-Ausfahrt schlug Christian vor, in Frankfurt zu essen. Er kannte ein kleines Schlemmerlokal und wollte es dem Mädchen vorführen, wiewohl er keinen großen Appetit hatte. Bis zu dem Empfang am Abend blieb ihnen noch viel Zeit.
    »Weißt du übrigens, daß Frankfurt der Hauptsitz unseres komischen Familienunternehmens ist?« fragte Christian, als sich der Mercedes durch das Gewühl der City zwängte.
    Sie rollten über die Mainbrücke. Christian bat den Fahrer, am Schindewolff-Hauptquartier vorbeizufahren. Die Residenz lag am linken Mainufer. Sie trug ihr Dach fünfzehn Stockwerke hoch. Jutta und Christian stiegen aus.
    »Schloß Eriks-Ruh«, sagte er, »ein feiner Laden. Weißt du, wie die Konkurrenz ihn nennt?« fuhr er fort: »Eine kapitalistische Kolchose.«
    »Wieso?« fragte sie gleichgültig.
    »Eigentlich macht sich Erik sowenig aus Geld wie ich«, antwortete Christian. »Er ist ein erstklassiger Manager. Aber er bringt die Sache so lustlos hinter sich wie ein Monarch, der aus Staatsräson mit einer häßlichen Prinzessin ein Kind zeugt.«
    »Aber er zeugt.«
    »Kommerziell«, erwiderte Christian. »Er zahlt die höchsten Löhne, gewährt die dicksten Gratifikationen. Er beteiligt seine Arbeitnehmer freiwillig am Gewinn. Die meisten von ihnen wohnen in Einfamilienhäuschen mit Garten und Garage.« Er zog Jutta weiter. »Und das geht schief. Verstehst du?«
    »Nein.«
    »Die Leute arbeiten wie verrückt. Hier hat man die niedrigsten Krankenausfälle. Den höchsten Pro-Kopf-Umsatz. Den geringsten Personalwechsel. Erik, der Antikapitalist, wird unfreiwillig zum erfolgreichsten Ausbeuter der ganzen Bundesrepublik.«
    »Vielleicht sind seine Ideale vergeblich«, spottete Jutta, »aber er wirkt doch

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