Auf dem Rücken des Tigers
sicher nicht umsonst?«
Sie waren um das Gebäude herumgegangen, betrachteten es von hinten. Es war einer der üblichen Glas-Marmor-Paläste, groß, aufwendig, funktionell. Es stand in einer Landschaft, deren Seele das Geld war.
Der Turm zu Babel war fertig geworden. Er hieß Mammon. Er stand in Frankfurt. Frankfurt war überall.
»Ich will ja nicht angeben«, sagte Christian, »aber hier werden 60.000 Schicksale verwaltet. Eines davon ist meines.« Er betrachtete das Haus mit ironischem Wohlgefallen. »Eigentlich gehören mir davon fünf Etagen. Welche würdest du nehmen?«
»Die oberen«, entgegnete Jutta zerstreut.
»Das geht nicht. Auf dem Dach hat sich Erik ein Asyl ausgebaut, eine kleine Junggesellenwohnung.«
Sie sah nach oben.
»Er arbeitet oft bis in die Nacht«, fuhr Christian fort, »dann will er nicht mehr in den Taunus fahren.« Er zog das Mädchen weiter. »Wenn du mich fragst, liebt er die Arbeit für den Konzern nur, weil sie ihn von zu Hause fernhält.« Er grinste: »Wie hast du gesagt: ›Zuhaus' ist Not und Elend.‹«
Sie waren vor dem großen Portal stehengeblieben. Er sah, wie der Wind mit Juttas Haaren spielte, wie er sich in ihre Bluse grub, wie er sich am Minirock vergriff. Er vergaß, daß es zwölf Uhr mittags war, die Sonne schien und ihm das Licht in die Augen stach.
»Du bist hübsch«, sagte er und zeigte noch ein Lächeln, das übergangslos gerann. »Du schaffst mich noch.«
Sie gingen zum Wagen zurück. Der Fahrer riß schon von weitem den Schlag auf. Er trug einen dunklen Marengoanzug, der wie eine Uniform aussah. Genauso ausgesucht wie seine Kleidung wirkten seine Manieren. Sie waren so korrekt, daß sie die Fahrgäste nervös machten. Aber Christian wußte, wie er die Tortur heimzahlte: Er zwang den Chauffeur, mit ihnen am Tisch zu essen. Sie erlebten, daß der Mann unsicher wirkte, obwohl er manikürte Fingernägel hatte.
Der Wagen fuhr wieder aus der Stadt hinaus, erreichte die Autobahn.
»Der Empfang spielt sich auf einem kleinen Lustschloß ab«, erläuterte Christian. »Es gehört dem Konzern.« Er lächelte boshaft. »Eine der unbezahlbaren und kostspieligen Ideen unserer verehrten Gastgeberin.«
»Noch weit?« fragte Jutta.
»Etwa zwanzig Kilometer«, antwortete der Fahrer, ohne sich umzudrehen. »Darf ich Sie gleich zu Ihrem Hotel bringen, Herr Schindewolff?« fragte er dann.
Das Gästehaus verbarg hinter einem nichtssagenden Dutzendnamen die nur wenigen bekannte Tatsache, daß es dem Konzern gehörte. Es verdankte sein Entstehen den kulturellen Schindewolff-Abenden; deshalb gab es in einem kleinen Dorf mit wenig Fremdenverkehr ein Luxushotel.
Für Jutta und Christian waren zwei Appartements reserviert.
»Es wird ernst«, stellte Christian mit ungewöhnlicher Heiterkeit fest, »jetzt müssen wir uns maskieren.«
Sie hatten Zeit. Christian nutzte das Alleinsein, um sich ein paar Schnäpse aus der Bar heraufschicken zu lassen. Jutta schlüpfte in einen türkisblauen Cocktailanzug. Ihre Vorbereitungen zum Fest waren kurz und kundig: ein paar geschickte Handgriffe. Viel war nicht zu machen. Es gab kaum etwas zu verbessern und nichts zu verbergen.
Der Fahrer brachte sie auf das Schloß. Die Anfahrt war bereits in vollem Gange, und einen Moment lang trieben beide in der Anonymität eines wohlgelaunten, wohlgekleideten, wohlsituierten Trubels. Am Eingang zum Spiegelsaal löste er sich in disziplinierte Paare auf wie beim wohltemperierten Abschlußball zur Polonaise.
Der Engpaß, an dem sich alles staute, war Aglaia: Jutta, die Christians und Eriks Abneigung gegen die Gastgeberin gespürt hatte, war verwundert, wie apart, klug und natürlich sie wirkte.
Juttas Augen verfolgten sie ungeniert: Sie regierte wie eine demokratische Königin, konstitutionell wie souverän. Sie führte zusammen und trennte, schürte und bremste, unterband und kuppelte. Sie konnte sich zwischen ein paar hundert Personen bewegen, ohne einen zu übersehen, und dabei noch den Eingang im Auge behalten.
Aglaia hatte Christian sofort erkannt, und was sie auch empfinden mochte, sie lächelte ihm zu, als sei er ihr liebster Gast und das Mädchen in ihrer privaten Rangliste die nächste.
»Wie schön, dich zu sehen«, rief sie und hielt Christian mechanisch und zwecklos die Wange hin. Dann wandte sie sich an Jutta: »Ich hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl.«
Sie kannten sich erst ein paar Sekunden, doch schon zeigte die Gastgeberin einen Hauch von Vertraulichkeit: »Ich glaube, Sie sind
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