Auf dem Rücken des Tigers
verloren sich die Eindringlinge im großen Haufen, und die ersten Gäste ermannten sich. Sie versuchten einzelne Pullover-Menschen abzudrängen und sich zu dritt oder zu viert auf sie zu stürzen.
Aglaia erfaßte mit Bestürzung, daß ihr Salon der geschliffenen Komplimente brachial zu werden drohte. Sie war fast froh, als von der Mitte des Raumes her schwefelgelbe Schwaden kamen, Gestank, Angst und Husten verbreitend. Der Tumult steigerte sich zur Panik.
»Nebelkerzen«, rief Kudritzky laut und reichte Aglaia ein Taschentuch: »Gegen den Mund pressen«, riet er und versuchte sie nach draußen zu ziehen, aber die Gastgeberin blieb an Bord ihres Schiffes und zeigte dabei so viel Gelassenheit, daß die beiden Beamten des Verfassungsschutzes in ihrer Verwirrung zu spät eingriffen.
Kudritzky zog Aglaia ans Fenster.
»Sie wissen doch, wem Sie das verdanken?«
»Nein«, entgegnete sie hustend.
»Ihrem Herrn Schwager.«
»Beweise!« röchelte sie hinter dem Taschentuch.
Sie suchte Christian mit den Augen: Es konnte keinen anderen Anstifter geben. Und mit diesem Skandal hatte er sich auch selbst erledigt: Wenn sich Erik auch nicht viel aus ihren Gala-Veranstaltungen machte, Nebelkerzen würde er nicht einmal von seinem Bruder als Gastgeschenk hinnehmen können.
Aglaia verfolgte jede Einzelheit gespannt. Sie wartete darauf, daß Christian auch noch laute Kommandos geben würde. Aber diesen Gefallen tat er ihr offensichtlich nicht.
Er stand und trank. Er war vermutlich schon so hinüber, daß er seine kleine Aufmerksamkeit für Aglaia vergessen haben mußte. Er lachte laut und durchdringend. Soweit die Gäste nicht aus dem Saal geflohen waren, hörte ihn jeder und konnte nun auch zusehen, wie der Triumph sein zerstörtes Gesicht belebte. Die Augen: nichts als Haß. Der Mund: verzerrt von Haß. Die Haltung: verkrampft vom Haß.
Es war gut, daß sein widerwärtiges Gesicht in den Rauchschwaden verschwand. Aber Christians Lachen blieb. Es überlagerte den Raum wie ein vergessener Orgelton.
»Komm«, sagte Jutta; aber er ließ sich nicht bewegen. Es war auch vollkommen sinnlos, sich von der Stelle zu rühren.
Die Konturen verschwammen im Nebel. Rauch beizte die Augen. Giftige Dämpfe stachen in die Lungen. In blinder Flucht versuchten die entsetzten Gäste mit den Armen dem Ausgang engegenzurudern. Jeder wollte der erste sein nach der Devise: Rette sich, wer kann. Die Unterschiede des Geschlechts und des Ranges waren ausgelöscht. Aus dem Sturm war ein riesiger Orkan geworden. Der Luxusdampfer ging unter. Jeder versuchte auf Kosten der anderen zuerst das Rettungsboot zu erreichen.
Vom Ausgang wurden die Flüchtenden zurückgestaut. Die meisten begriffen nicht, daß sie wegen einer simplen Nebelkerze ihren Egoismus entblößten. Sie hielten die gelben Schwaden für mörderisches Gas. Sie trauten diesen Barbudos, made in Germany, ohnedies alles zu, zumal diese jetzt, wenn auch hustend und heiser, im Sprechchor schrien:
»Ky-Ky-Kiesinger!«
»Na-Na-Nazinger!« plärrten ihre Kommilitonen aus einer anderen Ecke.
»Die Richtung stinkt.«
Endlich gelang es den Saaldienern, die Fenster aufzureißen. Die Nebeldämpfe zogen langsam ab. Die Menschen, die sie eingehüllt hatten, erhielten wieder Umrisse, Gesichter, Namen, Würden.
Gäste, die einander aus dem Weg gegangen waren, konnten sich nicht mehr ausweichen. Auf einmal stand Aglaia vor Christian. Ihr rasches Lächeln, konnte nicht verbergen, daß sie betroffen war. Sie sah sich durchschaut und ging zum Angriff über:
»Verdanke ich dir diese aparte Aufmerksamkeit?« fragte sie hustend.
»Das solltest du doch wissen«, antwortete Christian. Es belustigte ihn, daß Flüchtende stehenblieben, um die Szene zu verfolgen. »Oder sind deine Schnüffler nicht mehr von der alten Güte?« Seine Stimme übertönte den Lärm im Saal.
Aglaia merkte, daß ihr Schwager Skandal suchte, aber die Schwaden der Nebelkerzen würden ihn um sein Publikum bringen.
»Was meinst du eigentlich?«
»Ich meine, daß deine Schweine mein Leben durchwühlen wie einen Trog.«
»Ist es denn kein Schweinetrog?« versetzte sie.
Christian lachte, als sie wegging. Seine Freude wurde noch lauter, als er die bestürzten Gesichter der Umstehenden bemerkte. Er atmete schwer, mußte husten, spürte den Schwindel im Kopf, spürte den Dampf im Hirn. Er sah, wie sich die Welt um ihn verdunkelte, was nicht mehr am Nebel lag. Er hatte das Gefühl, sein Herz explodiere auf der linken Brustseite.
Während
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