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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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ihre Vergangenheit vorhielt.
    Erik verfolgte, wie seine Frau Gäste begrüßte, die sie nicht mochte. Es war ihr nicht anzusehen. Aglaia teilte in vielem seine Auffassung über die große kleine Welt, in der sie lebten. Aber sie verstand es, ihre Abneigungen und Sympathien besser zu verbergen als er. Dazu kam, daß sie – vermutlich ihrer kleinbürgerlichen Herkunft wegen – eine Gesellschaftsschicht, die sie verspottete, zugleich anbetete.
    Auch Erik übersah keinen Gast. Obwohl er sich um ihr Privatleben nicht kümmerte, wußte er, was darüber zu wissen war. Die meisten von ihnen waren reich, und mehr wollten sie nicht sein, höchstens scheinen. So kauften sie die Konsulswürde oder einen Doktorhut, einen handgeschnitzten Chorstuhl im Kirchenschiff oder ihres Nächsten Weib.
    Am Benehmen der Gäste merkte Christian, daß der russische Dichter erschienen sein mußte. Er versorgte sich erst einmal mit einem vollen Tablett, bevor er sich die Darbietungen ansah. Die Versammelten formierten sich zu einer Gasse des Beifalls. Der Ehrengast schritt lächelnd durch die Huldigung. Er trug den modischen Smoking so sicher wie der Bundeswehrgeneral sein angejahrtes Ritterkreuz.
    Der Dichter war groß und schlank; seine Haare, offensichtlich als Konzession an überseeische Lebensart, waren sehr kurz geschnitten, ließen ihn wie einen Yankee aussehen. Vom Typ her schien er eher dazu berufen, als Ledernacken eine Dschungelfestung zu verteidigen, als Gedichte wider den Krieg vorzutragen.
    Aglaia geleitete ihn zum Ehrenplatz. Die anderen Gäste schlossen in bunter Reihe zu einem weiten Halbkreis auf. Ein Livrierter servierte den Begrüßungsschluck. Jeder konnte am Etikett sehen, daß die Gastgeberin so umsichtig gewesen war, den Champagner mit Krimsekt zu vertauschen.
    Die Gruppierung klappte wie eine Stellprobe unter der Hand eines meisterlichen Regisseurs. Die als konservativ Abgestempelten verschwanden diskret im Hintergrund. An ihre Stelle traten vorwiegend jüngere Leute, die ihre Libertinage schon in Kleidung und Haarschnitt ausdrückten.
    Verspätete Gäste strömten herein. Christian verfolgte belustigt, daß man ihn erst begrüßte, wenn er nicht mehr zu umgehen war. Er schnitt den Drückebergern den Weg ab. Er knipste auf ihren Gesichtern ein fades Lächeln an wie elektrisches Licht.
    Die Geladenen wunderten sich darüber, daß er hier war, und am meisten wunderte sich am Ende Christian selber.
    Hier wurde er nicht als der ausgebrannte Weltjournalist gewertet, sondern als ein verkommener Zweig der Schindewolffs: zwar wenig respektabel, trotzdem noch zu respektieren, solange ihn der Konzern nicht gänzlich fallenließ.
    Christian genoß, wie sie ihn verstohlen musterten: einen Mann, der sich benahm, als tränke er um sein Leben; dabei vertrank er doch nur sein Leben. Er tat es an jedem Tag und an jedem Ort, aber an keinem Platz so gerne wie hier – als Gast Aglaias. Dieser Anreiz war noch mächtiger als die Sucht.
    Der zweite Genuß nach dem Whisky war die Verachtung. Er mochte diese Gesellschaft nicht; nicht die Männer, die ihre Tüchtigkeit wie einen Lendenschurz trugen, und auch nicht die Frauen, die ihre Reize ins Schaufenster legten. Schließlich haderte Christian auch noch mit sich, denn er gestand sich verdrossen ein, daß ihn jederzeit so viel Fleisch wieder zum Kannibalen machen würde, hätte er nur noch die festen Schneidezähne von früher.
    Seit er Aglaia begrüßt hatte, war die unbestimmte Angst zerstoben. Er sah kein anonymes Netz, er erkannte die eine Verfolgerin, und diese hatte ihn wohl mehr zu fürchten als er sie. Er kam sich vor wie der alte Marius, den der Sklave nicht hatte töten können. Er würde dafür sorgen, daß auch Aglaias Häschern das Schwert aus der Hand fiele.
    Christian schob sich vorsichtig an die Darbietung heran. Er stand in der Nähe von Prediger und General, die sich im trauten Gespräch ein wenig abseits hielten. Es kam ihm vor, als frönten Soutane und Uniform öffentlicher Unzucht.
    Vielleicht mußte man trinken, um zu merken, welche Blasphemie es war, daß beide das Kreuz als Symbol trugen, wenn auch jeder in seiner modischen Abwandlung: Das Kreuz des berühmten Theologen hatte nicht mehr viel mit der Last zu tun, die Christus ertragen und erlitten hatte – es war leicht, silbern, handgeschmiedet, hübsch ziseliert; auch das Kreuz des Generals präsentierte sich verändert. Das Hakenkreuz des Führers war weggezaubert worden.
    Christian trank weiter. Der Abend

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