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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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suspekter Organisationen – harmlose Narren ebenso wie brandgefährliche Bilderstürmer.«
    »Christian ist ein Romantiker«, schürte Aglaia, indem sie dämpfte.
    »Wenn man Romantikern zuviel Geld gibt, richten sie Unfug an.«
    In ihrem Lächeln lag eine Auszeichnung und eine Andeutung. Als Mann von gestern war Kudritzky heute am Endpunkt seiner Karriere angelangt. Es gab Ausnahmen, die bis in das Vorzimmer des Bundeskanzlers geführt hatten, aber diese hatten einflußreiche Fürsprecher gehabt.
    Ohne sich etwas zu vergeben, deutete Aglaia an, daß sie eine solche Patronin sein könnte und auch sein würde, so sie in ihrem Schützling einen Helfer fände. Befriedigt stellte sie fest, daß der tüchtige Kudritzky auch die diskretesten Andeutungen wahrnahm. Schließlich war er ein Mann gewesen, der immer gewußt hatte, wo Gott wohnt.
    »Ich habe zufällig auch einige der Gesammelten Werke des Herrn, über den wir reden«, sagte Aglaia, »aber diese Taten sind weniger politischen Charakters.« Sie begann sich von Kudritzky zu lösen. »Aber vielleicht sollten wir gelegentlich einmal unsere Erfahrungen austauschen.«
    Sie bemerkte, daß sich der Beamte erlaubte, zerstreut zu sein. Sie folgte seinen Augen, erschrak, begriff und faßte sich sofort.
    »Da haben Sie's«, sagte der Oberregierungsrat. »Die Handschrift ist wohl deutlich genug.«
    Eine seltsame Bewegung ging durch den Kerzensaal. Sie kam von der Tür her, war zuerst ein Rauschen, gerann zur Stille, um dann als Krawall zu detonieren.
    Schlagartig veränderte sich der Raum, und die ersten begriffen den Anschlag, der auf Aglaias Soiree verübt wurde: Zwischen die hübschen Roben der Damen, zwischen die Fräcke und Smokings drängten sich verschmutzte Pullover, fünf, acht, zehn, ein ganzes Rudel.
    Livrierte Saaldiener verfolgten die Burschen. Am Eingang drohte es zu einer Schlägerei zu kommen aber die Gastgeberin gab ihren Bediensteten einen Wink, von den Eindringlingen abzulassen.
    Sie suchte Erik mit den Augen, sah, daß er versuchte, das kopflose Durcheinander einzudämmen, und den Musikern ein Zeichen gab.
    Das Quartett begriff sofort: Es mühte sich, den Zwischenfall mit Brahms zu überspielen. Aber was vermochte Kammermusik gegen diese Schreihälse auszurichten?
    Sie kämpften sich rücksichtslos durch den Saal.
    Sie hatten zottige Haare und riefen zotige Worte. Einer von ihnen trug eine blau-rote Fahne. Erst als sie im Sprechchor: »Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh« riefen, wußten die Gäste, daß es die Vietkong-Flagge sein mußte.
    Ein Rebell baute sich vor dem Sowjet-Dichter auf, dessen entgeisterte Miene bewies, daß er nicht begriff, um welche Art von Demonstration es sich hier handelte; riß dem Russen das Glas aus der Hand und schüttete es aus.
    »Unerhört!« tobte Tillman, der berühmte Prediger.
    »Geht doch nach drüben!« kreischte eine schrille Stimme.
    »Schnauze, Hochwürden«, erwiderte ein Pullover-Mensch gutgelaunt: »Heute ist Dienstag – du predigst erst Sonntag.« Er lachte verächtlich: »Über Miniröcke, nicht über Vietnam.«
    »Und unter dem Schutz der Bundeswehr«, fiel ein anderer ein.
    Sie schwenkten die Vietkong-Fahne vor seinen Augen: »Treiben Sie uns doch den Teufel aus, Hochwürden!«
    »Armes Deutschland«, sagte der Prediger.
    Die meisten Gäste wirkten so gelähmt, daß sie weder Zorn noch Angst zeigten. Auftritte dieser Art kannten sie aus den Schlagzeilen der Tagespresse. Aber daß diese Rowdies selbst hier eindringen könnten, war nicht zu erwarten gewesen. Wer waren sie? Wie waren sie ins Haus gekommen? Wer hatte sie eingelassen, wer bestellt? Wer bezahlte sie? Und wie weit würden sie den Skandal noch treiben?
    Christian hatte beim Auftauchen der Saal-Revoluzzer laut gelacht, wie ein dümmlicher Theaterbesucher an der falschen Stelle. Ein paar Gäste starrten ihn betroffen an. Die meisten erwarteten ohnedies nur Radau von ihm.
    Er betrachtete die verwilderten Eindringlinge mit süchtigen Augen. Jutta merkte, wie sehr sich dieser notorische Zivilist danach sehnte, die Pullover-Uniform zu tragen. Er genoß die Angst der Zuschauer, ihre Unfähigkeit, zu handeln, die Zimperlichkeit, handgreiflich zu werden, das lähmende Entsetzen, das eine entschlossene Minderheit einer konformistischen Übermacht bot, deren Notabein noch dazu des Führers höchste Orden trugen.
    Christian begann zu zählen, und das Ergebnis berauschte ihn. Zwölf Burschen, höchstens vierzehn gegen fünfhundert, mindestens vierhundert.
    Allmählich

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