Auf dem Rücken des Tigers
unser Kommandierender General, ein Herr von Sonstnochwie, spitznasig, blaublütig, ein schmaler Schädel, gezüchtet wie eine exaltierte Hunderasse.
Nichts gegen Hunde; der General ließ seinen Wagen anhalten und sich Meldung machen. Die Spezialeinheit eines Vernichtungskommandos wirkte in seinem Abschnitt, aber sie unterstand nicht seinem Befehl. Er hatte mit der Sache nichts zu tun und war im übrigen so in Eile, daß er gar nicht ausstieg, sondern mit einem flüchtigen »Weitermachen!« davonfuhr.
Es war ohnedies kein schöner Anblick: Die Toten lagen kreuz und quer herum, durcheinander, nebeneinander, aufeinander. Die Männer des Sonderkommandos stiegen wieder in ihre Fahrzeuge. Sie verfügten über den Sprit, der uns gefehlt hatte. Sie fuhren zum nächsten Einsatzort; wir hatten unsere Fahrzeuge vor Tagen oder vor Wochen angezündet.
Ich will meine Geschichte hier von vorne nach hinten erzählen, ohne literarische Floskeln oder moralische Rülpser. Aber ich möchte doch vorwegnehmen, daß der General, den ich nie wiedergesehen habe, nach dem Krieg doch einige Vorwürfe über die Geschehnisse in seinem Frontabschnitt hinnehmen mußte. Aber damit war es, als der Geist von Potsdam mit dem Geist von Westpoint herumhurte, um ledige Infanteristen für den neuen Kreuzzug zu zeugen, endgültig vorbei.
Molitor hatte sich neben die Toten gestellt und den abfahrenden Männern des Sonderkommandos zugerufen: »Räumt gefälligst euern Dreck beiseite!«
Einer drehte sich um und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. Eigentlich hatte er auch ganz recht: Entweder würden die Leichen von der Artillerie eingegraben, oder sie verschmorten sonstwie im Feuer. Auf keinen Fall aber wären sie, von der Kälte konserviert, eine große Gefahr; sie würden weder Seuchen verschulden, noch mit ihrem Verwesungsgestank die Gegend belästigen.
Wir schafften noch an die acht Kilometer, dann kamen die Iwans mit Panzern. Links von uns lag eine Pak, die ganz ordentlich schoß. Sonst pflegten sich in solchen Fällen die Russen zurückzuziehen und ihre Artillerie oder Stalinorgeln einzusetzen. Vielleicht hatten sie die Schweinerei im Dorf entdeckt, jedenfalls walzten sie stur die Stellung nieder und schwenkten dann genau auf uns zu.
Wir hatten uns in Deckung gehauen. Ein paar Löcher, ein Graben, daneben eine Art Mulde. Es war keine richtige Stellung, aber es machte auch nichts aus, wir hatten sowieso nur noch Infanteriemunition.
Die Russen schossen mit MGs.
Hinter ihnen kamen Infanteristen. Sie hatten es verdammt eilig, als sie in unsere Stellung einbrachen. Kübner knackten sie noch in seinem Loch mit der Panzerkette. Freudenhoff wurde von einem Infanteristen mit dem Seitengewehr in den frostharten Boden gerammt. Mechanisch zog es der Iwan wieder heraus und zerschmetterte mit dem Kolben Ellwein den Schädel unter dem Stahlhelm. Der Kerl mußte eine irrsinnige Kraft in den Schlag gelegt haben.
Ich kam nicht mehr dazu, die Einzelheiten unseres Untergangs zu beobachten. Ich spürte Stiche; dann wurde es dunkel.
Es dauerte nicht lange.
Die Kälte brachte mir bei, daß es mit dem Heldentod noch einmal Essig gewesen war. Ich fieberte und fror gleichzeitig. Neben mir hockte Frischmann und starrte stumpfsinnig auf die Gedärme, die ihm aus dem Leib quollen. Er umfing sie mit seinen Händen, als wäre noch etwas aufzuhalten. Kleber filzte die Taschen der Toten, gab dabei dem dicken Rückert einen Tritt, den dieser nicht mehr spürte: »Hab' doch gewußt, daß die Sau noch Zigaretten hat«, fluchte er. »Hier«, sagte er und warf mir eine durchblutete Packung zu.
Wir waren noch sechs Mann, falls man Frischmann noch mitrechnete. Der russische Vormarsch flutete über uns hinweg; eigentlich waren wir schon im feindlichen Hinterland, und das hieß, daß wir unsere Zukunft genauso aussichtslos in Händen hielten wie Frischmann seine Eingeweide. Er fiel übrigens jetzt vornüber. Wenn der Mann tot war, war er jedenfalls mit Anstand gestorben; ich hatte Bauchschüsse erlebt, die einen höllischen Spektakel verursacht hatten.
Bei mir schienen es nur Oberarm und Oberschenkel zu sein. Ich versuchte aufzustehen und sackte gleich wieder um. Kleber und Molitor standen abseits, sprachen halblaut aufeinander ein. Ich konnte kein Wort verstehen, aber ihren Gesichtern nach wollte uns Kleber liegen lassen und Molitor uns mitzerren.
Das Gespräch blieb lange in der Waage.
Dann siegte, wie in einem frommen Erbauungsstück, das Gute.
Molitor wuchtete mich
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