Auf dem Rücken des Tigers
beugte sich über mich. Er betrachtete meine Verwundungen mit kennerischem Blick. Vielleicht versuchten sich meine Gedanken mit ihm anzufreunden, weil ich auf ihn angewiesen war. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß der Mann gar nicht vom Ehrgeiz verblendet war, sondern sein eigenes Leben riskierte, um fremdes Leben zu retten.
Die Zeit war beschissen, aber es gab einige Typen, die man bewundern mußte. Bevor sich der Arzt an mir versuchte, dämmerte mir, daß dieser untersetzte Bursche zu den Verrückten gehören könnte, die sich eine aussichtslose Menschlichkeit bewahrt hatten.
Einen Moment lang sah er mich an.
»Schwein gehabt«, sagte er.
Während ich als stumme Erwiderung dachte: das wollen wir erst einmal abwarten, fielen mir die Augen auf; sie waren wach und warm. Der Unterarzt war kein Roboter mehr, keine seelenlose Amputationsmaschine, sondern ein Mensch, verdammt noch mal ein Mensch, und die Begegnung mit einem solchen schien mir der landesüblichen Abenteuer größtes zu sein.
Er faßte selbst mit an.
Als sie mich aufhoben, war die Mattscheibe wieder da. Der Kisten-Operationstisch, auf den sie mich legten, schaukelte wie ein Ruderboot. Ich wartete auf den Betäubungsschlag, und dabei geisterte der alberne Kindervers durch mein Bewußtsein: »Ich und du, Müllers Kuh, Müllers Esel, das bist du!«
Ich merkte, daß eine Verzögerung eingetreten war. Gefechtslärm. Deutlich unterschied ich, zwischen MGs und Stalinorgel, das Dieselgebrumm russischer Panzer. Von draußen stürzte ein Unteroffizier herein und sagte dem Feldunterarzt, daß es höchste Eisenbahn sei, zu verduften.
Dieser Müller hörte gar nicht hin.
Ich merkte trotz Alkohol und Schwerelosigkeit, daß es ihm nicht um seinen Kalte-Küchen-Kurs ging, sondern um uns. Vor lauter Rührung wurden meine Augen naß. Aber das war bloß der verdammte Fusel, denn unser Kommandeur – der sich wie eine Sau benommen hatte, bevor er wie eine solche verendet war – hatte auch immer geweint, wenn er betrunken war.
Es wurde mir schwarz vor den Augen. Der Hammer war nach unten gewuchtet und hatte mir eine Ohnmacht beschert. Während der Zug entgleiste, lag ich im Schlafwagen, Einzelbett, erster Klasse.
Jedenfalls verschlief ich die Zugentgleisung. Ich weiß nicht, wie lange. Aber in jedem Fall kam ich zu früh zu mir, denn der erste Eindruck vom wiedererwachenden Leben war das verzerrte Gesicht Molitors, der mit dem gesunden Bein an einen Dachbalken aufgehängt und doch bereits tot war.
Partisanen. Bei ihnen hatte sich so viel Haß gestaut, daß er sich bei der Entladung Zeit nehmen mußte. Sie hatten einen Sani in Arbeit. Der Mann schrie mit verdrehten Augen, und das hatten sie gewollt. Die Schreie des Gefesselten erreichten fast die Schrille der Verwundeten von vorher. Er schrie auch noch weiter, als ihm die Partisanen ins Gesicht pißten.
Einer kam von draußen und rief ihnen in gutturalen Lauten etwas zu. Ich verstand nur, daß er sie zur Eile antrieb. Das bedeutete wenigstens, daß man die Schlinge um den Hals bekam und nicht verkehrtherum aufgehängt wurde.
Meine Schließmuskeln versagten. Ich roch meinen Tod. Ich dachte an die Frauen und Kinder. Aber das machte die Sache nicht feiner. Während sie mich auf die Beine stellten, um mir die Schlaufe um den Hals zu legen, aus der sie erst den armen Molitor abseilen mußten, überlegte ich, wie lange es dauern würde. Plötzlich wurde es heiß.
Wie von Geisterhand losgebunden, plumpsten die Gehängten auf den Boden. Dann stürzte das Dach ein.
Zuletzt erlebte ich meine Feuerbestattung. Landser-Verbrennung, dritter Klasse.
Und dann waren die Partisanen wieder da. Ihre Schüsse kamen aus deutschen Gewehren. Dieses Mal unterließen die Burschen alle sadistischen Feinheiten und liquidierten kurz und schmerzlos: Sie legten die Überlebenden und Verwundeten in Kopfhöhe in einer Reihe nebeneinander, um mit einem gezielten Feuerstoß die Sache zu erledigen. Die Gehängten an den Balken klatschten nach unten wie pralle Säcke. Der arme Molitor schlug noch einen Partisanen k.o.
Die Hitze wurde unerträglich.
Die Partisanen stürmten davon.
Ich konnte mich nicht rühren. Ich merkte schon, wie meine Haare angesengt wurden und die Flammen noch näher krochen. Endgültig für mich. Es war nur ein Strohfeuer, aber ich würde es nicht überleben.
Da stürmte ein Verrückter herein, ein Narr, dem die üblichen Möglichkeiten des Selbstmordes nicht ausreichten. Es war dieser Unterarzt, dieser Müller.
Er
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