Auf dem Rücken des Tigers
mich zu testen.
So wenig ich auch von diesem Kriegs-Gott-Vater Schindewolff wußte, ich wollte mich beherrschen, um für ein Jahr die Uniform loszusein. Vielleicht war bis dahin der Krieg aus, oder es erwischte mich danach noch. Aber ein Jahr waren zwölf Monate, 365 Tage, genügend Zeit, um sich trotz eines ramponierten Gesichts das eine oder andere Erlebnis zu pflücken.
»Ich bin Ihr Vater«, sagte Schindewolff. »Setz dich!«
Es klang wie ein Gong. Aber ich war ganz andere Schläge gewöhnt. Mehr neugierig als überrascht musterte ich den Mann, der wie ein Phantast redete, obwohl er keineswegs wie ein Phantast aussah.
Jedenfalls zweifelte ich keinen Moment an seiner Behauptung.
Ich hatte es nicht hören können, wenn Verwandte und Nachbarn immer wieder beteuert hatten, wie sehr ich meiner Mutter ähnelte. Jetzt jedenfalls war ich froh darum, selbst wenn es nur noch für eine Gesichtshälfte zutraf.
Mein Vater war kurzatmig, dick. Sein kahler Schädel wirkte wie eine polierte Billardkugel. Seine Augen waren triefäugig. Das rechte Ohr stand ab, als wär's kein Stück von ihm.
»Fertig?« fragte er.
Ich nickte.
»Ich bin eine häßliche Kröte«, fuhr Schindewolff fort, »du hättest sicher einen schöneren Vater haben können. Doch kaum einen reicheren.«
»Ach was«, sagte ich, »nun bin ich schon mal als vaterloser Geselle aufgewachsen.«
»Vorwurf?« fragte der Mann, der sich mit einundzwanzig Jahren Verspätung gemeldet hatte.
»Das hätten Sie mit meiner Mutter aushandeln müssen. Sie ist dummerweise vor kurzem gestorben.«
»Weiß ich«, entgegnete der Fabrikant. »Du kannst übrigens du zu mir sagen.«
»Jawohl, Papa«, versetzte ich spöttisch.
»Für dich heiße ich Heinrich«, sagte er und löste damit ein Zucken in meinem Gesicht aus. Da er es sofort richtig deutete, begriff ich, warum er es im Leben so weit gebracht hatte.
»Heinrich, Heinrich, mir graut's vor dir«, zitierte er. »Habe ich dir rechtzeitig ein Stichwort geliefert?«
Wenigstens ist er nicht dumm, überlegte ich.
Diese Begegnung stürzte mich in ein Gemisch von Spekulation, Verachtung, Interesse und Widerwillen. Ich hütete mich vor dem alten Schindewolff. Ich wußte, daß er mich immer wieder verblüffen wollte. Verdrossen aber merkte ich auch, daß er mir zu imponieren begann.
So nach und nach wurden mir Zusammenhänge klar, über die ich bislang nur flüchtig oder gar nicht nachgedacht hatte. Wenn Mutter sich mit einem Mann wie Schindewolff eingelassen hatte, mußte eine starke Faszination von ihm ausgegangen sein. Auf einmal wußte ich auch, warum Mutter ausgerechnet in Frankfurt bei einem Luftangriff ihr Leben verloren hatte: Es mußte geschehen sein, als sie bei meinem – na ja – Vater zu Besuch gewesen war.
Er bestätigte es mir mürrisch.
Er sprach nicht gern über den Tod, auch nicht über den der anderen, weil er den eigenen fürchtete. Heinrich, der Herr über einen Konzern von 40.000 Arbeitnehmern und ein Vermögen von über einer Milliarde, hatte seine väterlichen Gefühle nicht zufällig entdeckt, sondern meine Mutter hatte sie bei ihm geweckt – und sie waren wohl auch nicht stärker als ein widerwillig gegebenes Versprechen.
Ich wurde in der Buchhaltung als Volontär einer kriegswichtigen Spezialabteiiung geführt und erhielt pro Woche 100 Mark. Ich wohnte in einer Baracke, doch zum Wochenende wurde ich erstmals in die Villa des Mannes gebeten, den ich noch immer nicht als meinen Vater werten konnte.
Bei diesem Antrittsbesuch hatte er einen seiner Überraschungsauftritte vorbereitet. Ich war ein wenig zu spät gekommen und stellte fest, daß es noch einen zweiten Gast gab, einen schlanken, großen Burschen. Er sah aus wie ein ostelbischer Junker, äußerlich war er der Modetyp des braunen Regimes.
»Da bist du ja endlich«, sagte der alte Schindewolff und drückte mir ein Glas Kognak in die Hand. »Kennt ihr euch eigentlich?«
»Nein«, erwiderte ich.
»Christian Bamberg«, stellte er mich vor und wies auf den Krautbaron, der vermutlich zum Schlotbaron umgeschult werden sollte: »Erik Karlstad.« Er zog genießerisch an seiner Zigarre, grinste wie ein Faun und setzte hinzu: »Die Herren sind Brüder.«
Er lachte am meisten über seinen faulen Witz, und er schürte unsere Verblüffung, als er feststellte, daß Erik nur ein paar Wochen älter war als ich. Der Alte spielte die Szene über Gebühr aus, aber schließlich mußte er ans Telefon, und ich war mit einem Bruder allein, der mir
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