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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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der im Zivilleben Dermatologe an der Münchner Universitätsklinik war, angefordert worden.
    »Wir beide haben uns nur zufällig wiedergetroffen«, sagte Wolfgang, »ich konnte dich nicht anfordern, weil ich nicht wußte, wie du heißt.«
    Es war Abend. Ich merkte es daran, daß Dr. Müller zu mir kam. In seiner Freizeit hatte er sich angewöhnt, mich zu besuchen, sozusagen außerdienstlich.
    »Werde ich wieder sehen?« fragte ich ihn und stoppte genau mit, wie lange er zögerte. Es war kurz, aber vielleicht doch zu lang.
    »Wahrscheinlich ja«, antwortete er.
    »Was ist sonst mit mir los?«
    »Dein Gesicht bringen wir auch wieder hin«, fuhr Wolfgang fort. »Rechts bist du noch eine Schönheit, aber links derzeitig kein so – so heiterer Anblick.«
    »Weiter«, drängte ich.
    »Am meisten Glück hast du mit dem Kopf gehabt«, erläuterte er. »Wir mußten deine Schädeldecke auswechseln und dir eine kleine Silberplatte einsetzen.«
    »Gehirnverletzung?« fragte ich.
    »Wie deine scharfsinnige Frage beweist«, versetzte Wolfgang, und ich glaubte zu hören, daß ich ihm glauben durfte, »ohne Folgen.«
    »Und wie geht es jetzt mit mir weiter?«
    »Langsam«, entgegnete der Arzt. »In zehn Tagen werden wir deinen Verband abnehmen, uns zuerst um deine Augen kümmern und dir dann ein neues Gesicht verpassen. Der Professor ist eine Kapazität für plastische Gesichtsoperationen.« Er lachte stumm. »Das Augenlid werden wir dir runderneuern müssen. Was die Nase anbelangt, können wir sie dir bei der Gelegenheit nach Wunsch bauen. Wenn's soweit ist, komm' ich mit unserem Katalog, und du kannst dir eine neue Visage aussuchen. Also, Geduld, mein Junge.«
    Ein paar Tage später sollte mir der Gesichtsverband abgenommen werden.
    »Regen Sie sich nicht auf«, sagte Schwester Anita. »Es wird alles gutgehen.«
    Ich horchte ihrer Stimme nach. Meine Arme wurden süchtig nach ihr, aber sie hingen schlaff durch.
    Ich schlief ungut, fror und schwitzte gleichzeitig, hatte abscheuliche Angst und bat darum, die Abnahme des Verbandes zu verschieben, bis Wolfgang, der gelegentlich zu Vorlesungen an die Münchner Universität fuhr, um seine Dissertation vorzubereiten, zurück sei.
    Doch dann kam der Oberfeldarzt en suite. Ich war kein Privatpatient mehr, sondern ein Fj.-Unteroffizier, der gefälligst die Arschbacken zusammenzukneifen hatte, wenn sich schon ein so hoher Sanitäts-Offizier mit ihm abgab. Mir fiel ein, daß ich ungerecht zu dem Professor war, und da wurde ich ruhig und mimte Fassung.
    »So, dann wollen wir mal«, sagte der Professor. Ich spürte die Schere in Augenhöhe: »Halten Sie die Augen geschlossen«, bat er. Ich merkte wie der Verband fiel. »Jetzt vorsichtig öffnen …«
    Ich versuchte es.
    Ich schrie, daß meine Mitpatienten vor Angst den Kopf unter die Decke stecken wollten.
    Ich war blind.
    Alles war konturlos, schwarz und dunkel.
    »Nehmen Sie sich doch zusammen«, sagte der Oberfeldarzt. »Bitte, Schwester Anita …«
    Sie kam näher.
    Sie wurde wohl immer in die Feuerlinie geschickt, wenn einem Verwundeten zu eröffnen war, daß er sein künftiges Leben in ewiger Nacht verbringen müßte.
    Dann hörte ich, daß an der Jalousie gezogen wurde.
    Plötzlich merkte ich, daß hereinstürmendes Dämmerlicht den Raum grau filterte.
    Ich traute meinen Augen nicht.
    Aber ich stellte benommen fest, daß vor mir, im Halbdunkel des Raumes, ein Mensch stand. Eine Frau. Eine Schwester.
    Sie trat an mein Bett.
    Sie war alt und häßlich, ein Scheusal, das von den Wahnvorstellungen der Patienten lebte. Bei den meisten hatte sie Glück; sie würden sie niemals sehen.
    Ihr hartes, mageres Gesicht war wie ein Spiegel, in dem ich meine verbrannte Visage anstarrte.
    Ich rechnete mir aus, wieviel häßlicher sie sein mußte als die Frau mit der Whiskystimme.
    Außer Geduld erlernte ich nach und nach alles. Ich stellte mich beim Rasieren schräg vor den Spiegel und schabte die linke Seite blind glatt, obwohl ich wieder meine volle Sehkraft hatte.
    Bevor die erste Transplantation vorgenommen wurde, war ich so entstellt, daß ich mich vor mir selbst fürchtete. Wieder wurde mir klar, warum es aus diesem Lazarett keinen Ausgang gab und auch keine Urlaubsscheine ausgestellt wurden.
    Beim Essen traf ich Mitpatienten, die mich so abstießen, wie ich ihnen furchtbar erscheinen mußte. Die Wochenschau zeigte keine Toten. Zumindest keine toten deutschen Soldaten. Aus dem gleichen Grund durften im Straßenbild auch keine Verwundeten

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