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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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auftauchen, die nicht so sauber und geleckt aussahen wie Helden auf den Kriegerdenkmälern.
    Sie zogen von meiner verbrannten Gesichtshälfte die Haut ab wie von einer Kartoffel die Pelle. Aus dem Oberschenkel schnitten sie ein sauber abgezirkeltes Stück Haut wie ein Stück Rasen und pflanzten es mir ins Gesicht.
    »Am Ende wird nur noch eine einzige Narbe zu sehen sein«, tröstete mich Wolfgang. »Der Professor kriegt das hin. In ein paar Monaten werden sich die Mädchen um dich raufen.«
    Nach der zweiten Operation, im März 1944, sah mein Gesicht so leidlich aus, daß man mich in Urlaub entlassen und anschließend wieder an die Front schicken konnte.
    Es kam anders.
    »Hast du ein hohes Tier in deiner Verwandtschaft?« fragte Wolfgang. »Irgendeinen einflußreichen Schutzpatron?«
    »Wieso?«
    »Du wirst Zivilist. Ein Jahr Arbeitsurlaub, hast du ein Schwein.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Gratuliere. Du bist ein Glückspilz!«
    Ein paar Tage später verabschiedete ich mich von Wolfgang, verzichtete auf den Heimaturlaub, da mich nicht jede Gasse und jeder Winkel der Sieben-Hügel-Stadt an Mutters Tod erinnern sollte.
    Ich fuhr gleich nach Frankfurt. Erst unterwegs erfaßte ich ganz, daß Mutter hier umgekommen war und ich noch nicht einmal ihr Grab kannte, wiewohl es kein Birkenkreuz trug.
    Mein Gesicht bot nicht mehr den schlimmen Anblick, aber war immer noch entstellt. Ich merkte es daran, daß mich meine Mitreisenden zu lange anstarrten oder daß sie zu beflissen wegsahen.
    Der Zug passierte Bombenruinen und heile Städte. An den Stationseinfahrten oder Fabrikmauern prangte die Parole der Zeit: »Räder müssen rollen für den Sieg.«
    Erst auf der Reise nach Frankfurt machte ich mir klar, daß ich nicht wußte, wohin ich rollte. Ich hatte mich beim Wehrbezirkskommando in Frankfurt zu melden, um dort, zunächst befristet für ein Jahr, das Soldbuch gegen den Wehrpaß einzutauschen: Sonderanforderung einer besonders kriegswichtigen Rüstungsfabrik.
    Es mußte sich um eine Verwechslung handeln. Ich war sicher, bald wieder in die entgegengesetzte Richtung zu fahren, denn weder die paar griechischen Vokabeln, die hängengeblieben waren, noch die Beherrschung der Sprung-auf-marsch-marsch-Technik würden ein kriegsentscheidender Beitrag sein.
    Der Irrtum erlaubte sich eine weitere Station: Ich gab die Uniform ab, erhielt Bezugsscheine für Zivilkleidung und die Auflage, mich am nächsten Tag bei der Hauptverwaltung der Schindewolff-Werke zu melden.
    Zuerst war ich mir wie ein Schlafwandler vorgekommen; jetzt hielt ich mich für einen Hochstapler. Es war verrückt. Soeben war der totale Krieg verkündet worden: Die Theater mußten schließen, Frauen zogen in die Munitions-Fabriken, Verwundete mit schlecht verheilten Visagen schickte man wieder an die Front, als könnten ihre martialischen Fressen die Wunderwaffen ersetzen – und ich wurde demobilisiert.
    Die Schindewolff-Werke lagen zwischen Mainz und Frankfurt, und sie arbeiteten für die Rüstung. Der Name besagte nichts, bis ich mich erinnerte, ihn gelegentlich auf den Planen der Lastautos als Reklameschrift gesehen zu haben.
    Der Pförtner schnauzte mich an.
    Als er meinen Namen hörte, machte er ein erschrockenes Gesicht.
    »Einen Moment, bitte«, sagte er. »Ein Bote bringt Sie gleich zu Herrn Schindewolff persönlich.«
    Der Mann führte mich durch ein Labyrinth von Gängen, blieb schließlich stehen, nahm die Mütze ab und klopfte an die Tür des Vorzimmers. Unter mehrmaligem Verbeugen näherte er sich dem Raum wie ein Bonze der Buddha-Statue, drehte sich dann um und bedeutete mir einzutreten.
    Das Vorzimmer lag offen wie eine geschleifte Festung. Ich betrat das Chefzimmer. Wie von selbst schloß sich hinter mir die wattierte Tür.
    Ein untersetzter Mann stand am Schreibtisch und zündete sich umständlich eine Havanna an. Er schien ausschließlich mit diesem Vorgang beschäftigt, doch ich merkte, daß er dabei mich musterte. Er stellte sich nicht vor, paffte kleine Wolken und sagte, als ich vor ihm stand:
    »Ach, du lieber Gott, haben Sie 'nen heißen Pfannkuchen ins Gesicht gekriegt?«
    »Ich heiße Gerber«, erwiderte ich, »und wer sind Sie?«
    »Schindewolff«, entgegnete der Untersetzte verwundert.
    »Welcher Schindewolff?«
    »Gibt nur einen«, brummte der Havanna-Raucher, »und der bin ich.« Er setzte sich. »Und keineswegs zufällig.« Seinem Lachen nach hielt er es für einen guten Witz. Aber ich merkte, daß er nur Zeit gewinnen wollte, um

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