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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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mich wie einen Fremden, als ich daranging, meine Persönlichkeit, aufgeteilt in kleine Portionen, einer kessen und intelligenten Kleinbürgerin zu schenken.
    Doch dann kam die Nacht, und diese machte uns zu Exoten, zu Vorzugsschülern der Liebe, zu Sklaven des Betts. Zu zwei jungen Menschen, die sich das Mark aus dem Rücken hurten, mindestens zweimal in einer Nacht das Bettuch wechseln mußten, erschöpft einschliefen, um am Frühstückstisch den Kaffee kalt werden zu lassen, weil sie die Sehnsucht aufeinander schon wieder ergriffen hatte.
    »Liebst du mich?« fragte Aglaia.
    »Fraglos …«, erwiderte ich.
    »Wie lange hält das bei dir an?« fragte sie weiter.
    »Was weiß ich?« antwortete ich. »Es ist mir neu.« Das stimmte, und deshalb wurde ich verlegen und flüchtete in den Spott. »Vielleicht ewig.«
    »Die Hälfte würde mir genügen«, versetzte Aglaia.
    Sie war eine übereifrige Studentin gewesen, die, bevor wir uns kennengelernt hatten, beinah täglich mit dem ersten Arbeiterzug in die benachbarte Universitätsstadt gefahren war. Aber die Germanistik ruhte zu meinen Gunsten eine Weile.
    Und mir erging es mit ihr nicht anders.
    Es klingelte zweimal lange.
    Der Briefträger. Wieder brachte er mir ein Sortiment Mahnungen: aus New York, aus Paris, aus Mailand. Ich war im Kommen. Ich brannte vor Ehrgeiz, aber Aglaia ließ ihn auf Sparflamme kochen.
    Jedenfalls, es klingelte, und wir kannten den Telegrammboten schon mit dem Vornamen.
    »Zieh dich an, geiler Fetzen«, sagte ich, »der arme Hund baut sonst auf seinem Fahrrad noch einen Verkehrsunfall.«
    Aglaia kam mit zwei Eilbriefen zurück.
    Ich legte sie ungeöffnet zu den anderen.
    »Was einem gefällt, will man besitzen, nicht?« sagte sie unvermittelt.
    »Was du ererbt von deinen Vätern hast«, wurde ich klassisch, »erwirb es, um es zu besitzen.«
    »Mich hast du nicht von deinen Vätern ererbt«, versetzte Aglaia ernsthaft, »aber vielleicht solltest du etwas tun, um den Besitz zu – zu erhalten.«
    Es war eine hübsche Formulierung einer häßlichen Aufforderung: Ich sollte Aglaia heiraten.
    Alles, bloß das nicht – oder erst viel später, denn ich wollte, daß die Telegrammjungen auch weiterhin verhuschte Augen hätten, wenn sie bei uns läuteten. Bei dem Raubbau, den wir trieben, konnte die Goldmine auch nicht ewig halten.
    »Ich muß nach Frankfurt«, sagte ich.
    »Du mußt etwas?«
    »Verpflichtungen.«
    »Du übernimmst Verpflichtungen?«
    »Scheiß-Konzern«, versetzte ich. »Am liebsten würde ich ihn dir schenken, um ihn los zu sein.«
    »Sei vorsichtig«, antwortete Aglaia, »am Ende nähme ich ihn noch an. Hättest du etwas dagegen«, fragte sie, »wenn ich das potentielle Geschenk in Augenschein nähme?«
    »Was soll der Konjunktiv?« erwiderte ich. »Wenn du willst, kannst du mitkommen. Aber wie ich uns kenne, gelangen wir nie in die Goethe-Stadt, sondern suchen uns spätestens in Würzburg eine Absteige …«
    »Ein verträumtes Hotel«, verbesserte mich Aglaia.
    »Aus dem die anderen flüchten, weil sie unser Gestöhne verwirrt …«
    »Sei nicht so zynisch«, rügte sie.
    »Aber so ist es doch.«
    »Das ist es ja – reden und handeln sind verschiedene Dinge.« Aglaia fuhr mir mit dem Zeigefinger über die Lippen. »Darauf basiert unsere Welt.«
    »Das ist mir zu einfach.«
    »Mag sein«, entgegnete Aglaia, offensichtlich bereits überlegend, was sie für die Reise nach Frankfurt an Garderobe mitnehmen sollte: »Entweder du begreifst das eines Tages und hältst dich daran …«
    »Oder?«
    »Oder du gehst vor die Hunde. Sicher nicht gleich – aber eines Tages.«
    »Und an diesem Tag«, ich kostete es aus, hämisch zu werden, »möchtest du meine Witwe sein, nicht?«
    Sie schwieg betroffen.
    »Sag doch, daß ich undankbar bin«, reizte ich sie.
    »Vielleicht bist du es …«
    »Vielleicht will ich unser schönes Zusammensein nicht mit Ballast behängen«, erwiderte ich.
    »Vielleicht möchte ich eine Frau sein«, entgegnete Aglaia.
    »Eine …«, antwortete ich, »aber bitte nicht meine.«
    Ich sah in ihr Gesicht – und schwieg.
    Wir fuhren nach Frankfurt und übernachteten tatsächlich in Würzburg auf halbem Weg. Aber Aglaia war so verstimmt, daß wir zum erstenmal seit dem Abend, an dem wir ihre Virginität beendet hatten, ruhig nebeneinander schliefen. Wir konnten eine Pause durchaus vertragen, aber beim Frühstück machte ich eine übellaunige Bemerkung.
    »Wir sollten nicht so drauflosleben«, sagte Aglaia, »es

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