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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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die Erkenntnis umzuwerfen, daß dieses Mädchen begann, ihm etwas zu bedeuten.
    Es war beunruhigend und verlockend: Er wehrte sich eigentlich nur dagegen, weil er fürchtete, es könnte ein Zustand zu Ende sein, dessen Anfang er noch lose in der Hand hielt. Empfindungen überlagerten Gedanken. Erik haßte Emotionen, noch dazu physisch bedingte. Er haßte das Übliche, das Klischee, die Banalität, die Gewöhnung reifer Männer, sich mit jungen Mädchen zu garnieren, sei es, sie als Beweis der Männlichkeit vorzuzeigen wie ein geplatztes Jungfernhäutchen, oder Jugend als Stimulans schwindender Kraft zu mißbrauchen. Daß Jutta gut zwei Jahrzehnte jünger war als er, empfand er als eine Tatsache, die ihn mehr abstieß als anzog.
    »Was wollen Sie eigentlich von Christian?« fragte er grob.
    »Nichts«, antwortete sie.
    Davon abgesehen, daß das einsilbige Wort keine ausreichende Antwort war, klang es für Erik echt.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte Jutta.
    »Viel«, entgegnete er und schwieg.
    Der Mond schälte sich aus einer Wolke. Ein Kuppler, dessen schmieriges Geschäft heute mißglückte. In der Ferne jaulte ein Hund. Mit stochernden Lichtfingern versuchte ein Auto Löcher in die Nebelwände zu bohren. Im Vorbeigehen sahen sie kahle Bäume, die mit trostlosen Polypenarmen in ein Nichts griffen, das nahtlos in den Himmel überging.
    Erik überlegte, wie lang es schon her war, daß ihn Aglaia zu einem sexuellen Krüppel geschossen hatte. Zwei Jahre? Drei?
    Er rümpfte die Nase.
    Er roch den Plüsch- und Pleureusen-Mief in dem kleinen Pariser Hotel, in das ihn Aglaia verschleppt hatte, um ihn mit der Nachhilfe der ›trente-six positions de l'amour‹ von einem zahlenden Voyeur zu einem zeugenden Akteur zu machen.
    Er sah durch das Guckloch in der fleckigen Wand, schloß die Augen beim Anblick der beiden Lesbierinnen, die die Körper zu erstaunlichen Anomalien verrenkten. Mehr als der künstliche Penis aus Holz und Gummi, den sich die üppigere der beiden Französinnen um den Unterleib geschnallt hatte, stieß ihn Aglaia ab, die schweratmend neben ihm saß und ihn zwang, diesem Cinemacochon bis zum Ende beizuwohnen.
    Er sah nichts mehr, aber die akustischen Begleiterscheinungen bohrten sich in sein Gehör.
    Noch Tage hinterher war er so taub, als trüge er Ohrenschützer.
    Ais Aglaia eingesehen hatte, daß alle seitherigen Versuche gescheitert waren, setzte sie zu einem sexuellen Amoklauf an. Sie jagte ihn von Ort zu Ort, von Arzt zu Arzt, von Land zu Land, von Klima zu Klima. Sie traktierte ihn unaufhörlich mit dem gleichen Medikament: Sinnlichkeit. Als selbst blonde Negerinnen und andere von ihr herbeigeholte Helfer versagten, unternahm sie – hinter seinem Rücken – milieugetreue Exkursionen durch die Quartiere der Perversion und bot sich ihm in jeder Form: oral, anal im Haus, im Freien, bot dem Abgestoßenen – nur um eines Erbvertrags willen – soviel an exzessiven Novitäten, daß die gesamte Sexualerfahrung seines bisherigen Lebens auf die Erfahrungswerte eines Pennälers zusammenschrumpfte.
    Jutta sah an Eriks Gesicht, daß sein Bewußtsein einen langen Ausflug in eine widerliche Vergangenheit angetreten hatte. Sie sah, wie sich seine Miene in Abwehr versteifte.
    »Was fehlt Ihnen?« fragte sie.
    »Mir fehlt etwas recht Spezifisches«, sagte Erik mit rauher Stimme. »Ich bin – ich bin kein Mann.« Er betrachtete Jutta von der Seite.
    Nichts änderte sich.
    »Verstehen Sie nicht? Ich bin impotent.«
    Sie reagierte noch immer nicht.
    »Warum sagen Sie nichts?«
    »Ist das nicht ein – ein medizinisches Problem?« fragte Jutta behutsam.
    »Ich habe an die drei Dutzend Arzte aufgesucht«, versetzte er, »aufsuchen müssen.«
    »Warum erzählen Sie das mir?«
    »Ja, warum eigentlich?« Er kam zu keinem Ergebnis und Jutta zu keiner Antwort.
    Sie gingen weiter. Sie liefen im Kreis. Es entsprach der Fahrtrichtung, die Eriks Leben eingeschlagen hatte. Ein blendender Manager, ein hervorragender Unternehmer. Ein Mann, der vor Männlichkeit zu strotzen schien – und keiner war.
    Jutta erfaßte, welcher Mut dazu gehörte, so ein Geständnis vor einer fast Fremden abzulegen. Sie wunderte sich darüber. Sie hatte einige Erfahrung mit männlicher Gier, aber viriles Versagen machte sie unsicher. Unsicherheit haßte sie.
    Dann merkte sie doch, daß ein Mann, der sich trotz seiner guten Figur wie zusammengeschnürt hielt, sein Korsett gesprengt hatte.
    »Jutta, ich möchte mit Ihnen befreundet sein«, sagte

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