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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Stärkere. Seine Misere in persönlichen Dingen verleitete Erik nicht dazu, die sachlichen zu verzeichnen. Seine Frau hatte meistens recht, so verdrossen er es sich auch eingestand. Vielleicht brachte er bei den schwelenden Auseinandersetzungen zwischen Aglaia und Christian zu viel Verständnis für seinen Halbbruder auf, aber er war der Schwächere, und das genügte Erik, um Christian mehr oder weniger offen beizustehen.
    »Was hältst  du von dieser Geschichte?« fragte Aglaia.
    »Schöne Bescherung«, wich er aus. »Aber solche Dinge kommen nun einmal vor.«
    »Mitunter bist du von einer aufreizenden Toleranz.«
    »Es ist nur die Antwort«, erwiderte Erik, »auf eine aufreizende Intoleranz.«
    »Auch bei mir?« schoß Aglaia die Frage wie einen Pfeil ab.
    »Bei uns allen«, entgegnete er.
    »Gut«, versetzte sie, »aber meinst du, daß unser Parkett ein Tummelplatz für halbgare Revoluzzer ist?«
    »Es hätte nicht zu geschehen brauchen – auf deinem Galaabend.«
    »Auf unserem«, verbesserte sie ihn gewohnheitsmäßig. »Hältst du das für einen Zufall?«
    »Vermutlich«, antwortete Erik. »Die Zeitungen sind voll von unserem …«, er dehnte das Wort impertinent, »über unseren Kulturbetrieb. Wenn ich mir eine attraktive Gelegenheit aussuchen sollte, würde ich vermutlich auch hier den Hebel ansetzen.«
    »Nicht den Hebel«, verbesserte sie ihn, »sondern Nebelkerzen.«
    »Die Leute haben kein Geld. Sie brauchen eine Gratiswerbung.«
    »Du redest wie Sebastian«, entgegnete Aglaia, »aber dein Neffe ist immerhin neunundzwanzig Jahre jünger als du.«
    »Alter schützt vor Torheit nicht.«
    Worte solcher Art erlaubte sich Erik selten, aber wenn es nach ihm ginge, würden sie bis Frankfurt in diesem Tone weitersprechen, um nicht über anderes reden zu müssen.
    Sein Blick lag auf der Straße, seine Hand am Steuer. Er fuhr schnell und zügig, mit der Freude am Fahren, die ein richtiger Mann nie ganz verliert; nur war er kein richtiger Mann, wenn es nicht um Autos ging.
    »Die Randerscheinungen haben keine Schuld an der politischen Entwicklung«, sagte Erik rasch, »sie sind nur Symptome. Unser Land ist in einem Zustand, in dem man mit solcherlei Betriebsunfällen jederzeit rechnen muß.«
    »Aber nicht in meinem Haus.«
    »Nicht in unserem Haus«, verbesserte er mit Genuß. »Aber wenn die Reifen schlecht sind, müssen sie platzen.«
    »Wir«, er wußte, daß sein Lächeln Aglaia reizte, »das Establishment, fahren seit langem mit schlechten Reifen.«
    »Dann müssen sie eben ausgewechselt werden.«
    »Ich bin kein Politiker«, entgegnete der Manager, »ich finanziere nicht einmal solche.«
    »Sie finanzieren sich selbst«, erwiderte Aglaia.
    »Einer der Gründe, daß Nägel gestreut werden«, sagte Erik.
    »Gut«, versetzte sie, »kommen wir aus der Automobilwelt wieder zur Wirklichkeit: Wirst du Strafantrag stehlen?«
    »Gegen wen?«
    »Gegen Unbekannt.«
    »Selbstverständlich«, antwortete Erik.
    »Würdest du auch einen Strafantrag stellen gegen Bekannt?«
    »Gewiß«, entgegnete Erik mit ungewisser Stimme. Er hatte den fatalen Eindruck, daß seine Frau wüßte, wer hinter diesem Zwischenfall stand und daß ihm dieses Wissen teuer zu stehen kommen könnte.
    »Ohne Schonung?« fragte sie.
    Erik nickte. Seme Nackenmuskeln wurden steif. Er wechselte die Hand am Lenkrad.
    »Weißt du denn mehr als ich?«
    »In diesem Fall«, erwiderte Aglaia. »Ich kenne den Anstifter.«
    »Namen«, sagte er grob.
    »Christian«, antwortete Aglaia.
    »Beweise.«
    »Leider werde ich sie dir liefern müssen«, versetzte sie und lotete Erik von der Seite aus. Vielleicht lag es an der Beleuchtung, aber sein Gesicht wirkte fremd, müde – und sein Schweigen pflügte Falten zu Furchen um.
    Christian stand am Fenster der Krankenstube. Der Föhn gab Licht. Am Horizont bohrte sich das Wettersteinmassiv mit der Zugspitze wild in den violetten Himmel, und das schien dem unfreiwilligen Patienten für längere Zeit der einzig schöne Ausblick zu sein.
    Der Chef der Privatklinik wurde erst heute von einem medizinischen Kongreß zurückerwartet. Christian war zunächst seinem Vertreter, Dr. Federbein, anvertraut, einem Arzt, der wie ein verjüngter Wolfgang aussah, untersetzt, grobschlächtig, wortkarg.
    Erik hatte ihn abgeliefert wie einen renitenten Halbwüchsigen in einer Zwangserziehungsanstalt. Christian merkte gleich, daß der Bruder den Abschied hinauszögerte.
    »Sei unbesorgt«, half er ihm, »ich habe es dir versprochen und ich

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