Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
angetan wurde. Aglaias grünes Parfum vermischte sich mit schweißnasser Ausdünstung. Ihre kunstvolle Frisur wurde von der Gier zerstört; damenhafte Schablone deformierte sich zu brünftiger Unersättlichkeit.
    Sebastian geriet in den Sog ihres Körpers und wurde von ihm wieder freigegeben. Die Couch wurde zum Karussell, das Schlafzimmer zum Rummelplatz. Worte, die der Junge nicht sagte, leierten durch sein Bewußtsein, im Rhythmus einer Drehorgel, die von Aglaia bedient wurde, beidhändig.
    Sie zog ihn an sich und stieß ihn weg, schlug auf ihn ein, biß in seinen Hals, und während ihr Sebastian Worte zuraunte, kroch ihm ihr Mund wie eine Schnecke über die Haut.
    Aglaia ließ ihn nicht los.
    Ihre Schenkel schlossen sich um ihn wie eine Schere. Sie lachte und keuchte, hob den Handteller an sein Kinn, schob es zurück. Wie in Notwehr drehte ihr der Junge die Arme um, hielt sie fest, während Aglaia sich aufbäumte.
    Sie hielt sich schadlos in dieser Stunde für die vielen verlorenen Nächte ihres Lebens, für eine Ehe ohne Mann, für den Wohlanstand aus Langeweile.
    Sie hatte ein Werkzeug gefunden, sie wollte es formen, bereit, einen Schoßhund aus ihm zu machen, selbst wenn ihr das Zusammensein wie Sodomie erscheinen müßte.
    Sie kostete seine Unerfahrenheit wie die Blume eines Weins, den nur sie im Keller hatte, fässerweise; sie gab sich wechselweise zärtlich und zotig, sie trieb den Jungen in vermessene Höhen und stürzte ihn in jähe Abgründe.
    Sie lachte, als er schluchzte, wurde laut, als seine Stimme versagte, und jagte ihn aus der Erschlaffung in die Erregung, bis er neben ihr lag: leer, erschöpft, wie tot.
    »Das erste Mal?« fragte sie, wiewohl sie es wußte und nur ihr Nachspiel haben wollte.
    »Ja«, erwiderte er verlegen.
    »Warum so spät?«
    Sebastian schwieg.
    »Geh dich duschen«, sagte sie.
    Sebastian spürte, wie sich sein Magen mit einer Übelkeit beschlug, die begann, jede Parzelle seines Körpers zu überziehen, und je mehr er sich dagegen wehrte, desto schlimmer wurde es.
    Er ging ins Bad, als flüchtete er – zu spät – aus den Armen der Frau Potiphar. Seine Haut war süchtig nach dem Wasserstrahl; während er ihn auf seinen Körper prasseln ließ, explodierte sein Magen, und es schien Sebastian, als sei nunmehr einer unsauberen Befreiung die purgierende gefolgt.
    Christian hatte Wolfgang auf die Couch gebettet, hatte dem Bewußtlosen ein Kissen unter den Kopf gelegt, hatte ihm die Kleider abgestreift, rasch und vorsichtig.
    Er starrte in das Gesicht des Freundes: Prügel-Müller sah aus wie geprügelt, die Augen aufgerissen, die Züge verzerrt – ein Toter, der noch litt. Wieder schien es Christian, als übertrügen sich die ungeheueren Schmerzen, die in der Brust des Freundes wüten mußten, auf ihn selbst.
    Er sah die aufgeschlagene »Therapie-Fibel«, er sah die aufgezogene Spritze daneben. Er begriff, daß Wolfgang, von Schmerzen gewarnt, den Herzmuskelriß befürchtet hatte: der Freund müßte sterben, falls er ihm nicht helfen würde.
    Christian sah auf die Verpackung der Ampulle: Dilaudid. Er starrte in die Fibel: Kammerextrasvstolen – Vorhofflattern – Septumininfarkt, schwammen unfassbare Begriffe durch sein Bewußtsein.
    Weiter konnte er nicht lesen, denn er wollte nicht, daß Wolfgang stürbe, während er Zeit verschwendete.
    Er nahm die aufgezogene Spritze.
    Ihre Nadel zitterte in seiner Hand, als er die Vene suchte.
    Er achtete darauf, daß er keine Luftbläschen durch die Kanüle injizierte.
    Vielleicht war es falsch, was er tat, aber der Krieg, einer dieser dummen Scheißkriege, hatte ihm beigebracht, daß es besser sei, etwas Falsches zu tun, als gar nicht zu handeln.
    Christian hatte keine andere Wahl, als er die Kanüle ansetzte, als er zustach. Irgendwie war ohnedies ein jeder aus seiner Generation ein Sanitäter und ein Totengräber und hatte von klein auf sterben und sterben lassen gelernt.
    Vielleicht mordete er Wolfgang: aber es wäre Tötung auf Geheiß; soweit kannte Christian seinen Freund, um seinen Blick, um seine Bitte richtig zu deuten.
    Sie hatten nie viele Worte füreinander gebraucht; sie hatten sich oft stumm unterhalten.
    Er drückte den Knopf der Spritze vorsichtig durch, gleichmäßig, langsam.
    Verdammt, das letzte Mal, als er es getan hatte, war es ein Tripper gewesen, den er einem sogenannten Kameraden und dieser Sogenannte dann ihm wegkuriert hatte. Eine Hand wusch die andere, und wer wollte schon mit türkischer Musik in den Bau

Weitere Kostenlose Bücher