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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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gehen. Und es hatte geholfen, verdammt, tatsächlich. In zwei Tagen war alles vorbei gewesen, und die Harnröhre wieder sauber wie der Lauf des Karabiners 98 K.
    Aus. Schluß. Wolfgang rührte sich nicht mehr.
    Christian stürzte ins Bad, suchte einen Spiegel, wollte ihn Wolfgang hinhalten, um zu sehen, ob er noch atmete. Und wenn nicht, wäre auch nichts mehr zu ändern. Basta, okay, Amen.
    Er warf den Spiegel in die Ecke.
    Klirrend brach er auseinander: sieben Jahre Unglück Scheißegal. Wenn nur Wolfgang durchkäme.
    Christian hatte den Hörer in der Hand.
    Er verwählte sich zweimal. Jetzt, da es nur noch zu telefonieren galt, waren seine Finger unsicherer als beim Dilaudid-Spenden.
    Eine Schwester war am Apparat.
    Sie verstand sein unartikuliertes Brüllen nicht, und Christian merkte, daß er sich zur Ruhe zwingen mußte.
    Die Angst zerhackte die Silben, schließlich schaffte es Christian, den albernen Namen auszusprechen, den der Mann mit dem albernen Beruf hatte, von dem er hoffte, daß es kein alberner Beruf, sondern die schönste Berufung sei, die es auf Erden geben könne.
    »Kommen Sie, Federbein«, keuchte er in die Muschel. »Rasch, jetzt, schnell.«
    Christian legte auf.
    Er war erschöpft.
    Er roch die Nähe des Todes. Er kannte ihn gut. Von Rußland her und von Vietnam. Nicht nur seine Nase stand mit ihm auf du. Sie waren alte Kameraden, die sich mochten und bekämpften, miteinander sprachen, mit Achtung voneinander schieden, um sich dann gegenseitig zu begaunern. Christian kannte den Tod, seine hautlose Visage, die tiefen Augenhöhlen, das Grinsen der Schneidezähne.
    Es konnte nur eine Minute dauern, bis Dr. Federbein einträfe, aber vermutlich war bis dahin der Freund schon zwei Minuten tot.
    Christian stürzte an den Wandschrank, nahm eine Flasche, setzte sie an. Er trank gierig. Er verschluckte sich. Das Zeug lief ihm durch die Nase heraus: Alkohol vermischt mit Rotz.
    Er ließ die Flasche fallen.
    Idiot, schalt er sich: Mund-zu-Mund-Beatmung wie bei einem Ertrunkenen.
    Aber wenn Wolfgang ertrunken ist, lebt er nicht mehr. Atem kann ihm Gott einhauchen, so es ihn gibt, so es ihn gäbe.
    Er hörte, daß Dr. Federbein eingetreten war – der Kommissar am Schauplatz, dem Mörder gegenüber.
    Der Arzt beugte sich über Wolfgang, betrachtete ihn, hob seine Augenlider.
    Er legte das Ohr an die nackte Brust des Bewußtlosen.
    Christian sah, daß sich der Schmerz nicht mehr im Gesicht des Freundes spiegelte, der Infarkt mußte eingetreten sein: Septumininfarkt, höchste Mortalität, achtzig Prozent, stand in der Fibel, und von den restlichen zwanzig Prozent kann kein Mensch leben.
    Der Ausdruck des Gesichts war weich geworden.
    Dr. Federbein richtete sich auf.
    Er wandte den Blick von seinem Chefarzt, der im Koma lag.
    Er nahm die Dilaudid-Hülle: ein Kommissar, der stumme Indizien zum Reden bringt.
    »Er lebt«, sagte er ruhig, »das ist zunächst einmal das wichtigste!«
    »Dann tun Sie doch was!« fuhr ihn Christian an.
    »Vorläufig kann ich nicht viel tun«, erwiderte der Arzt. Er ging an den Schrank, betrachtete die Flaschen. »Ich weiß, daß Sie keine großen Worte mögen«, sagte er und drehte sich langsam um.
    Er trat an Christian heran, ganz dicht: ein Kommissar, der die Handschellen einschnappen läßt: »Sie haben Dr. Müller mit ziemlicher Sicherheit das Leben gerettet«, sagte er ruhig.
    Erik war nicht nach Frankfurt zurückgekommen, und Aglaia gelang es nicht länger zu verheimlichen, daß sie nicht wußte, wo ihr Mann sei. Trotzdem blieb sie ruhig, eine Frau mit der Beherrschung eines Mannes, eine Frau mit einem hübschen Gesicht, in dem sich die Sorge nur zögernd zeigte.
    Sie weigerte sich noch immer, die Polizei zu verständigen. Wenn sie erst eine ordnungsgemäße Vermißtenanzeige aufgäbe, könnte selbst der Werbeetat einen Presseskandal nicht mehr verhindern, zumal das Fernsehen sich schon gar nicht danach zu richten brauchte.
    Sie überwand sich und rief im Starnberger Sanatorium an: Unglaublich, aber der verhaßte Schwager ließ ihr bestellen, daß er nicht zu sprechen sei.
    Sie überwand sich ein zweites Mal. Eine Stunde später rief Aglaia wieder an, um zu hören, daß sich Erik schon vor zwei Tagen in Starnberg verabschiedet hatte – was stimmen konnte oder auch nicht.
    Sollte sie selbst nach München fahren?
    Unsinn, verwarf Aglaia den Gedanken wieder: Sie war keine Detektivin. Und im Hotel, in dem Erik abgestiegen war, würde man ihr nicht mehr sagen können, als sie

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