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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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ohnedies zurecht, vergrößerte oder verkleinerte ihren Busen, machte ihre Oberschenkel länger, die Füße kleiner, den Verstand schärfer, die Sinnlichkeit lauter, je nach Laune oder nach Maß, und schuf sich, gleich Phidias, dem Bildhauer, sein Geschöpf. Wenn das Material nicht ausreichte, ersetzte man es durch seine Phantasie. Freilich, ein Zeus würde selten herauskommen.
    In welchem Bett man auch nächtigte, in wessen Armen und um welchen Preis, man schlief doch letztlich immer nur mit seiner Phantasie und erschlaffte die Einbildung, war der Kopf wieder klar und das Auge frei. Bis zum nächsten Mal, morgen vielleicht oder in einer halben Stunde: Der Rückfall gehört zum Mann wie der Schwanz zum Hund, und sei es der kupierte.
    Ein Mann ist ein Mann, ein Hahn und ein Hahnrei, ein Stier und ein Esel, verdächtig, wenn er sich nicht wünscht, was er haben kann, und lächerlich, wenn er hätte, was er sich nicht mehr wünschen kann.
    Das Telefon klingelte.
    Ich wickelte mich aus dem Moskitonetz und nahm den Hörer ab.
    »Hast du Zeit?« fragte Denise.
    »Für dich immer, ma chérie.«
    »Dann komm«, setzte sie hinzu und legte auf.
    Es wurde nichts mit le petit déjeuner amoureux.
    Ein paar Minuten später kam der Mandarin und schaffte mich zum Flugplatz. Er schmuggelte mich in eine Transportmaschine, nannte mir den Namen eines Fallschirmjäger-Majors, an den ich mich in Dien-Bien-Phu wenden sollte.
    Die »Dakota«, vollgepfropft mit Waffen und Nachschubgütern, brauchte eine knappe Stunde. Ich saß am Schwanzende auf abgedeckten Holzkisten. Die Piste der Dschungel-Festung war kurz und schmal, die Landung schwierig. Der Pilot knallte die Maschine hart auf die Erde. Die Kisten prallten gegeneinander. Rote Flüssigkeit sickerte zu Boden.
    Ich stand auf, schlug das Tuch zurück und stellte fest, daß ich auf einem Sarg gesessen hatte, den man auf dem Hinweg aus praktischen Erwägungen mit ›Vinogel‹, einem Rotweinkonzentrat, eingeflogen hatte.
    So nach und nach traf ich hier wieder alles an, was ich hatte vergessen wollen: einen General mit Halsschmerzen, was in der französischen Armee ›gloire‹ hieß; Stabsoffiziere, die wider besseres Wissen die Klappe hielten, weil sie Mut, doch keine Zivilcourage hatten; einen Artillerie-Kommandeur, der sich weigerte, seine Geschütze einzugraben, weil er ›das gelbe Geschmeiß‹ auf der anderen Seite mit einer Salve in Klumpen schießen wollte und sich dann, als er seinen Rechenfehler erkannte, selbst entleibte. Eigentlich war es in Rußland, nur, daß in Indochina anstelle des Frostes die Hitze als Bestattungsamt für die Gefallenen aufkam.
    Die Offiziere schimpften ausnahmslos auf Paris, wo das bessere Frankreich gegen den schmutzigen Krieg Sturm lief. Doch ein Sturm, der nicht von der Infanterie, unterstützt von Artillerie, Granatwerfern und Panzern vorangetrieben wurde, sondern nur vom Gewissen, interessierte die Militärs wenig.
    Die Dschungel-Festung lag auf dem Präsentierteller, längst eingeschlossen, ohne daß es außer Vorgeplänkel zu Kampfhandlungen gekommen wäre. Die Viets bestückten die Hügel mit Geschütz-Attrappen. Auf Fahrrädern karrten sie ihren Nachschub heran. Jede der ausgemergelten Termiten schleppte bis zu hundert Kilo. Jede Portion Reis, jede Granate, jedes Verbandspäckchen wurde von den revolutionären Kämpfern über Hunderte von Kilometern herangeschafft. Ihre Offiziere konnten nicht alle Freiwilligen registrieren, die sich meldeten, um sich – eingehüllt in Sprengstoff – mit den französischen Befestigungen in die Luft zu jagen. Die Dschungel-Partisanen trugen Helme aus geflochtenem Bambus, zerschlissene Fetzen am Leib, Sandalen aus Autoreifen. Ihr General war nicht in Saint-Cyr, der exklusiven Brutstätte des Militarismus, erzogen worden; deshalb wollte ihn sein Gegenspieler zu einer offenen Schlacht provozieren, um ihn endgültig zu vernichten.
    Man brauchte kein Generalstabsoffizier zu sein, um zu begreifen, daß ein über Nacht zur Festung erklärtes Provinznest mit schlampig ausgebauten Stellungen die Aufständischen ungeheuer anziehen müßte. Aber die Franzosen hatten Flugzeuge, hatten Artillerie, hatten Fallschirmjäger, die am häufigsten sterben müssen, weil sie am meisten plündern dürfen.
    Für das leibliche Wohl war selbst in Dien-Bien-Phu gesorgt: Das Bordell war wesentlich größer als das Lazarett, obwohl sich der Bedarf an Verbandsräumen potenzieren würde. Auf der einen Seite erzeugte der trockene Rausch der

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