Auf dem spanischen Jakobsweg
Innenhof der
Herberge und frage mich, was die Spanier über uns Pilger eigentlich so denken.
Sind wir in ihren Augen Heilige? Oder Vagabunden? Vielleicht vagabundierende
Heilige? Oder wenigstens heiligmäßige Vagabunden? Wahrscheinlich halten sie uns
nicht für reine Vagabunden, sonst würden sie ihre schönen Töchter nicht vor uns
tanzen lassen. Aber für Heilige halten sie uns sicher ebenfalls nicht, sonst
dürften die jungen Damen wohl auch nicht vor uns tanzen. Also muss es irgendwo
dazwischen liegen, was sie von uns denken. Ich möchte so gerne wissen, wo das
Pendel ihrer Gefühle stehenbleibt, auf welcher Seite wenigstens.
Aber da
fällt mir die rundliche Kneipenwirtin in dem kleinen Dorf ein, bei der ich vor ein
paar Tagen einen „café grande con leche“ getrunken habe. Ich hatte, weil ihre
lustigen Augen dazu einluden, ein bisschen mit ihr herumgealbert, und dann
hatten wir auch noch ein wenig über die Peregrinos, die Pilger, philosophiert.
Als ich ihr da unverhofft erklärte, wir Pilger seien alle auch „vagabundos“, da
hat sie aber lachen müssen, die kleine runde Kugel, und weil sie so lachen
musste und gar nicht mehr aufhören konnte vor Lachen, fing sie an, sich zu
genieren, natürlich weil ich ihre geheimsten Gedanken erraten hatte. Und weil
sie sich so genierte, aber noch immer nicht aufhören konnte mit ihrem Lachen,
verschwand sie mit ihrem dicken und rot gewordenen Bäuerinnenkopf unter dem
Tresen, damit ich sie wenigstens nicht sehen könnte, wenn sie schon mit dem
Lachen nicht aufhören konnte, die lustige dicke Nudel.
Ein weisses
Pferd und viel roter Wein
Logroño
verlassen wir am Morgen noch in der Dunkelheit. Auch auf dieser Seite der Stadt
muss zunächst wieder ein Industriegebiet durchlaufen werden. Aber meine
Gedanken wandern schneller dahin, als meine Füße zu folgen vermögen. So fällt
mir ein, dass wir gestern, beim Bummel durch die Stadt, unseren Heiligen an der
Außenfassade der Kirche Santiago el Real nicht nur als frommen Mann mit
Pilgerstab und Pelerine, Muschel und Kürbisflasche gesehen haben, sondern in
kriegerischer Pose auf einem feurigen Hengst in die Schlacht reitend. Diese
Schlacht hat, auch wenn sich hier ein bisschen Legende beimengt, wohl schon im
Jahre 844 ganz in der Nähe stattgefunden. Nämlich nur etwa fünfzehn Kilometer
entfernt von meinen Schritten, auf dem Berg Clavijo, wo noch heute eine
mächtige Burganlage gleichen Namens steht. Den unbändigen Zorn des Heiligen
Jakobus kann man sich gut vorstellen. Forderten doch die Mauren zu jener Zeit
von dem edlen christlichen König Ramiro einen jährlichen Tribut von hundert
Jungfrauen. Da gab es für den sonst so braven Jakobus kein Halten mehr. Mit
unwirscher Handbewegung schob er die Wolken über Clavijo beiseite, ergriff eine
flatternde weiße Fahne mit rotem Kreuz, preschte auf einem „glänzend weißen
Pferd“ vom Himmel herunter in die Schlacht, tötete viele Mauren und bescherte
dem christlichen Heer den Sieg. Der „Matamoros“, der Maurentöter, war geboren
und die Reconquista hatte den ersehnten transzendenten Leitstern. Clavijo aber
wurde für lange Zeit zu einem Symbol für die Befreiung von der islamischen
Herrschaft.
Dass im
übrigen „Jakobus der Altere“ schon wenige Jahre nach dem Auffinden seines
Grabes zu einer solch heroischen Symbolfigur erhöht werden konnte, liegt sicher
auch daran, dass er in der damaligen Zeit — und auch noch später — immer wieder
mit „Jakobus dem Jüngeren“, einem Bruder und nicht nur Jünger Jesu, verwechselt
wurde, was seinen Rang noch erhöhte. Aus dieser Konfusion heraus entstand im
übrigen die immer noch geläufige Redewendung vom „wahren Jakob“. Inzwischen ist
die Sonne aufgegangen und ihre ersten Strahlen glitzern im Wasser des großen
Stausees „Pantano de la Grajera“. Wir überqueren nach rechts ein niedriges
Mäuerchen und gehen dann am Seeufer entlang westwärts. Einige Wildenten ziehen
unbeeindruckt von uns ihre lautlosen Bahnen, die vielen Bläßhühner wirken
dagegen ängstlicher und aufmerksamer und halten sich weiter entfernt vom Ufer.
Nach einer guten Stunde, jeder läuft jetzt für sich, so dass ich wieder allein
bin auf dem Camino, überquere ich auf einer Brücke die Autobahn und wandere
anschließend einen sanften Hügel hinunter. Mein Weg führt mich jetzt
ununterbrochen durch kräftige, dunkelgrüne Rebstöcke, die stämmig aus roter
Erde gewachsen sind. Wir sind sichtbar in der Rioja angekommen,
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