Auf dem spanischen Jakobsweg
die Mauer, die zur Begrenzung des
kleinen Platzes der Kirche Santa Maria vorgelagert ist. Erst will ich mir die
Kirche ansehen, möglicherweise ist sie nicht mehr lange geöffnet. Sie hat, was
ihre Architektur angeht, zwei Gesichter, ein äußeres aus der Zeit der
Renaissance und ein inneres aus der Zeit der Gotik. Sie hat auch einen großen,
vergoldeten Barockaltar, den mein spanischer Pilgerführer als „wunderbar“ und
„großartig“ bezeichnet und zu dem ich, wie zu vielen Barockaltären, keinen Zugang finde, keinen
künstlerischen und schon gar keinen spirituellen.
Beim Verlassen
der Kirche stoße ich, fast mehr aus Zufall, auf eine Grabplatte. Sie befindet
sich schon außerhalb der Kirche, nämlich an den Kirchenstufen. Unter dieser
Platte liegen die Gebeine eines Mannes, den man schon zu seinen Lebzeiten als
ein „Ungeheuer“ bezeichnet hat. Und in der Tat: Im Kampfgetümmel erstochen,
hatte dieser Mann mit seinen nur 32 Jahren schon Untaten hinter sich, mit denen
andere Bösewichte in diesem Alter oft erst zu beginnen pflegen. Auch wenn ihm
nach heutigem Rechtsverständnis vielleicht nicht alles lückenlos nachgewiesen
werden könnte, seine Zeitgenossen und auch noch spätere Generationen waren
jedenfalls davon überzeugt, dass er seinen eigenen Bruder ermordet hatte, um
dessen Besitztümer an sich zu reißen, und dass er mit seiner schönen und
geistreichen Schwester Inzest getrieben und deren zweiten Ehemann auf dem
Gewissen habe. Unbestritten ist, dass er sich — aber da hat der Papa etwas
nachgeholfen — die Würde eines Erzbischofs und später sogar den Kardinalshut
erschlichen hat, ohne jemals zum Priester geweiht worden zu sein. Sein
weltliches und kanonisches Sündenregister ist aber noch wesentlich länger und
seine völlige Skrupellosigkeit ist in die Literatur eingegangen.
In Neapel
verhaftet und von dort in einen spanischen Kerker verbracht, gelang ihm eine ebenso
tollkühne wie abenteuerliche Flucht. Obwohl er beim Abseilen gestürzt war und
sich schwer verletzt hatte, entkam er. Einige Zeit später tauchte er dann hier,
vor den Toren von Viana, auf, um wieder einmal gewalttätig zu werden. In einer
stürmischen Märznacht kam es zu Tumulten und Missverständnissen. Er jagte
sofort ohne Leibwächter los. Durch eine Finte seiner Gegner in einen Hohlweg
manövriert, wurde er im Gefecht schwer getroffen und stürzte. Gleichwohl
kämpfte er weiter, bis er schließlich von vielen scharfen Klingen durchbohrt
wurde und sein ruchloses Leben aushauchte: Cesare Borgia, geboren im Jahre 1475
in Rom, gestorben im Jahre 1507 vor den Toren dieses Städtchens im Innern von
Spanien und Vorbild für Machiavellis „Principe“, dem ehrgeizigen und
gewissenlosen Fürsten, der sich seinen Staat notfalls auch mit Gewalt, Verrat
und Mord aufbaut. Jetzt liegt er hier in der Erde außerhalb der Kirche Santa
Maria in Viana. Auf dem kleinen Platz vor der Kirche lärmen Kinder, die
Erwachsenen sitzen im Schatten und amüsieren sich, wenn wir durchziehenden
Pilger unsere heiß gewordenen Füße im kalten Wasser des Brunnens abkühlen.
Schwalben stürzen durch die Luft und der letzte Glockenschlag der Kirche Santa
Maria ist soeben verklungen. Übrigens war Cesare ursprünglich nicht außerhalb
der Kirche verscharrt worden. Sein Schwager, der König von Navarra, für den er
eine Palastrevolte in Viana hatte niederschlagen wollen, ließ ihn damals direkt
neben dem Altar der Kirche in einer prunkvollen Gruft beisetzen. Aber da hatte
jemand noch eine alte Rechnung mit seinem Vater zu begleichen, der nur vier
Jahre vor ihm gestorben war und so wurde Cesare Borgias prunkvolle Grablege
einige Jahre später zerstört und sein Leichnam dort beigesetzt, wo er noch
heute liegt.
Sein Vater,
zu Lebzeiten schon als „Giftmischer“ bezeichnet, war übrigens Papst Alexander
VI. Er war zwar hochbegabt, aber auch ein völlig skrupelloser Machtpolitiker,
ein großzügiger Förderer von Kunst und Wissenschaft, aber auch ein gnadenloser
Verfolger seiner Gegner. Savonarola zum Beispiel, der die Sittenlosigkeit der
Kurie angeprangert hatte, ließ er wegen Ketzerei erst hängen und anschließend
verbrennen. Er hat sich aber nicht nur auf derartige Schauprozesse verstanden.
Anderen Widerborstigen verhalf er manchmal völlig geräuschlos zur vorzeitigen
Himmelfahrt. So war ein Dämmerschöppchen mit ihm nicht ganz ungefährlich. Ein
paar Tröpfchen Gift konnten da schon mal dem Wein beigemischt sein. Im August
des Jahres 1503 musste
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