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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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können, wenn diese schönen Menschen in ihren Autos
vorbeibrausen. Außerdem regen diese Karawanen von Blech, Lärm und Gestank — so
fährt es mir spontan durch den Kopf — doch durchaus auch zu geistigen
Exerzitien an. Gar manche Berufsgruppe unter uns Pilgern kann hier mühelos im
Training bleiben. Wie immer am leichtesten haben es natürlich mal wieder die
Lehrer. Denn sie könnten doch mit ihren Pilgerstöcken auf die vorbeifahrenden
Autos drauf...- nein, das geht doch nicht, da würde j a der Krach hier noch
größer werden. Aber zählen könnten sie die vielen Autos. Erst vorwärts und
dann, wenn es wegen der hohen Zahlen zu schwierig wird, einfach wieder
rückwärts. Aber Vorsicht: Nur ja nicht, wenn man wieder bei Null angekommen
ist, hieraus gleich den Schluss ziehen, dass hier überhaupt keine Autos
vorbeibrausen. Auch die Additionsrechnung ist auf diesem Abschnitt des
Pilgerwegs immer trainierbar, ja sogar ziemlich simpel. Also zum Beispiel die
Frage zu beantworten, was herauskommt, wenn man 6 Opel plus 3 Peugeots rechnet.
Richtig, 9 Fahrzeuge — und für die Darunterzahlen sind dann die Statistiker
unter uns Pilgern zuständig, wenn es einer mal wieder ganz genau wissen will.
Mit den Statistikern kann man allerdings überhaupt nichts anfangen, wenn man
nun an die Addition auch noch gleich die Divisionsrechnung ankoppelt, also zum
Beispiel wissen will, was herauskommt, wenn man 6 Opel plus 3 Peugeots geteilt
durch 2 rechnet. Hier können, soll nicht alles mathematische Abstraktion
bleiben, nur die Auto-Designer unter uns Pilgern weiterhelfen.
    Man muss
sich aber nicht nur mit den vielen Autos hier befassen. So könnten zum Beispiel
die Biologen all das identifizieren, was vorher von den Autos totgefahren
wurde. Reine Ornithologen hätten allerdings wenig zu tun. Denn seit ein paar
Tagen ist in Spanien die Jagd offen und auf den umliegenden Feldern macht es
pausenlos bummbumm. Da wird es wohl wenigen Vögelchen gelingen, den schützenden
Korridor der Nationalstraße Nr. 120 überhaupt erst zu erreichen. Im Gegensatz
zu den Vogelkundlern sind unsere Pfarrer hier besonders intensiv beschäftigt.
Sie müssen beten, ununterbrochen beten, inbrünstig und flehentlich, damit bei
dem Gebrause hier die Pilger gesund in die nächste Herberge kommen. Und ich
wünsche mir, dass unser Pfarrer Tobias, der jetzt diese Qualen hier wohl schon
hinter sich weiß, einfach vergessen hat, mit dem Beten aufzuhören, so lange ich
selbst hier noch herumlaufen muss.
    Ich habe
zunehmend das Gefühl, dass der stundenlange Lärm und Gestank mein Hirn zu
zerrütten beginnt, und meine Gedanken die Grenze zur Albernheit längst
überschritten haben. Aber da werde ich plötzlich erlöst. Denn der gelbe
Markierungspfeil führt jetzt fort von der Nationalstraße in die Landschaft
hinein. Ich winke ein letztes Mal einem hübschen schwarzen Wuschelkopf zu,
weiße Zähne blitzen und eine zarte Hand winkt zurück. Nach wenigen Schritten
bin ich wieder zurück auf der roten Erde der Rioja und atme Einsamkeit und
Stille.
     
     

Ein Steinwurf
der tödlich endet
     
    Schon nach
kurzer Zeit führt der Weg wieder durch Rebenfelder. Regelrecht in die Erde
gerammt, stehen die dicken, knorrigen, wie mit schwarzem Lack bestrichenen
Rebstöcke der Rioja. Ihre Zweige werden von fetten, dunkelgrünen Blättern
zugedeckt, dazwischen hängen überall die prallen, dunkelblauen Trauben wie
schwere, an den Füßen aufgehängte Pyramiden.
     

    Später
treten die Weinberge wieder etwas zurück. Der Feldweg verläuft nun in Windungen
durch ein sanftes Hügelland. Links und rechts am Weg stehen die
unterschiedlichsten Gewürzpflanzen, die Wegwarte lacht mich aus blauen
Märchenaugen an, für einige Zeit geht es an einem jetzt fast ausgetrockneten
Rinnsal entlang, wo sich immer noch ein schmaler Streifen in seiner grünen
Farbe halten kann. Vereinzelt nur stehen ein paar Bäume am Weg, ihre Blätter
wirken in der Mittagshitze matt und müde. Die Felder sind abgeerntet, das Land
ist ausgedorrt. Etwas weiter entfernt sehe ich niedrige, hellblaue Berge, die
vor mir den Horizont bilden. Ich gehe ein paar Schritte nach links durch
trockenes Gras und lege mich in den Schatten einer Pappel, trinke mein letztes
Wasser und schlafe schnell ein.
    Nach
vielleicht einer halben Stunde werde ich wieder wach. Oben am Weg gehen Grace,
die kleine Engländerin mit dem großen Hut und Monique vorbei. Sie entdecken
mich und winken mir zu. Ich winke zurück, dann strecke ich noch

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