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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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glühender Sommersonne und ein Alptraum
aus Düsternis und Melancholie im endlosen Winterregen. Im Gegensatz zum flachen
Land waren allerdings die Städtchen am Camino damals voll von Leben, Vitalität
und Schönheit. Was wäre bei diesen Kontrasten dem wortgewaltigen Schwedenkönig
Gustav II. Adolf wohl eingefallen, wenn er schon München einen „goldenen Sattel
auf dürrer Mähre“ nannte? Carrión de los Condes muss im Mittelalter ein solcher
„goldener Sattel“ gewesen sein. Mit 12 000 Einwohnern, mehreren Klöstern, einer
Reihe bedeutender Kirchen und bis zu sieben Pilgerhospizen. Schon Aymeric
beschreibt im 12. Jahrhundert Carrión als „ein blühendes und exzellentes
Städtchen, reich an Brot, Wein, Fleisch und Produkten aller Art.“ Dennoch war
Carrión für einen nicht gut genug: Als Christoph Kolumbus vor dem spanischen
König Ferdinand dem Katholischen auf seinen Rechten als Entdecker des
amerikanischen Kontinents bestand, versuchte Ferdinand ihn mit Carrión de los
Condes als Lehen abzuspeisen, was der stolze Kolumbus brüsk zurückwies.
    Bei unserer
Ankunft in Carrión, am frühen Nachmittag, regnet es noch immer, aber es ist ein
warmer, dampfender Regen. Wir könnten in die Pilgerherberge gehen, stattdessen
aber klopfen wir an die Pforte des Klosters Santa Clara. Eine Nonne erkennt
sofort unser Anliegen und nimmt uns sehr liebenswürdig auf. Von ihr erfahren
wir auch gleich, dass in diesem Kloster schon der Heilige Franz von Assisi auf
seiner Pilgerreise nach Compostela Aufnahme gefunden hat und dass ihr Orden,
die Klarissinnen, eine Schwesternschaft der Franziskaner ist und von Klara von
Assisi begründet wurde. So sind wir also in historischen, ja charismatischen
Mauern untergebracht. Im Vergleich zu den Pilgerherbergen sogar sehr komfortabel,
denn in den einzelnen Zimmern stehen jeweils nur drei bis vier Betten.
    Wir gehen
sofort einkaufen, denn zu unserer Freude haben wir neben unserer „Klosterzelle“
eine geräumige Küche mit Kochplatten und dem üblichen Inventar sowie mit
Tischen und Stühlen entdeckt und dürfen uns hier auch betätigen. Wie wir von
unserem Einkauf zurückkommen, haben sich in der Küche auch schon unsere Freunde
aus Brasilien, einige Spanier, ein Ehepaar aus Frankreich und ein weiterer
Deutscher, der hier wegen einer fiebrigen Erkrankung ein paar Tage pausieren
musste, häuslich niedergelassen. Es geht an den Kochplatten eng zu, aber jeder
achtet darauf, dass er möglichst schnell mit seiner Kocherei fertig ist. Schon
nach kurzer Zeit steigen die unterschiedlichsten Küchengerüche auf:
brasilianische, französische, spanische und deutsche Gewürzrichtungen fließen
ineinander, aber am Schluss behält der Knoblauch über alle Nationalitäten
hinweg die Oberhand. So sitzen wir alle, inzwischen sind auch noch zwei
Engländer dazugekommen, gemeinsam an den Tischen und bieten uns gegenseitig
unsere Spezialitäten an, plaudern und lachen miteinander. Man spürt, dass sich
hier alle wohlfühlen. Diese Stunden mit Menschen aus den unterschiedlichsten
Ländern, ja Kontinenten, verbunden durch die gemeinsamen Mühsale täglicher
großer Wanderungen, sicherlich auch durch vielfach identische Motive, gehören
für mich zu den schönsten Erlebnissen auf diesem Pilgerweg. Hier sind
offensichtlich keine Bigotten, keine Eiferer unterwegs, keine, die schon alles und
natürlich auch alles besser wissen als die andern. Mir scheint, es sind
Suchende, denen man hier begegnet, Menschen, die noch auf dem Weg sind zu sich
und dem Sinn ihres Lebens. Und niemand leidet an metaphysischem Mitteilungs-
und Offenbarungsdrang, niemand will den Andern in eine bestimmte Richtung
drehen, niemand bedrängt den Andern.

    Später dann,
der Regen ist weitergezogen und die Sonne hat schon wieder Straßen, Plätze und
Häuser getrocknet, bummeln wir im Städtchen herum. Als erstes kommen wir an die
Kirche Santa María del Camino aus dem 12. Jahrhundert. Diese Kirche hat ein
romanisches Portal, in dem eigenartigerweise Stierköpfe und — in den Kapitellen
— junge Frauen abgebildet sind. Das hat natürlich wieder seine ganz besondere
Bewandtnis. Nicht nur bei Clavijo, auch hier gab es einen Maurenherrscher, er
trug den Namen Miramomolin, der doch tatsächlich von dem braven christlichen
König Mauregato einen Tribut von einhundert Jungfrauen forderte. Obwohl die
armen, schon ausgewählten Mädchen herzzerreißend weinten und wehklagten, ließ
sich Miramomolin, der maurische Unhold mit dem faustgroßen

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