Auf dem spanischen Jakobsweg
Sahagún
Die
Pilgerherberge in Sahagún ist sehr originell in der ehemaligen Dreifaltigkeitskirche
untergebracht. Obwohl hier im Hauptschiff mehr als sechzig Pilger übernachten
können, kann man die Atmosphäre fast als familiär, zumindest als gemütlich
bezeichnen. Das liegt insbesondere daran, dass jeweils mehrere Stockbetten so kompakt
aus Holzplatten zusammengefügt sind, dass sie eine fast hermetisch
abgeschlossene Einheit bilden. Auch sonst fühlt man sich hier sehr wohl. Vorne,
am Eingang zu den Bettenbereichen, befindet sich eine Gemeinschaftsküche mit
einigen langen Tischen und vielen Stühlen. Nach Weihrauch riecht es nicht mehr
in der ehemaligen Dreifaltigkeitskirche, aber der Duft von Knoblauch ist
allgegenwärtig.
Zunächst
aber, wir haben gerade geduscht und es uns auf den Betten gemütlich gemacht,
gibt es eine große Aufregung. Eine junge Pilgerin aus Spanien kommt mit sehr
ernstem Gesicht zu uns und bedeutet uns, doch mal mit ihr zu kommen. Sie geht
mit uns an die übernächste Bettennische und zeigt auf eine Frau, die im ersten
Parterrebett liegt. Es ist eine ältere Pilgerin aus Frankreich, die wir früher
auch schon einmal auf dem Camino gesehen haben, sie ist ganz allein unterwegs.
Aber Madame macht heute gar keinen guten Eindruck. Sie liegt völlig regungslos
auf dem Rücken, ihre Augen sind geschlossen, ihr Gesicht ist aschfahl und
eingefallen und ihr Mund steht halboffen ohne das geringste Zeichen eines
Atemzuges. Und der Schrecken einiger Pilger, die jetzt vor ihrem Bett stehen,
ist groß. Auch auf Berührung würde sie nicht reagieren, sagt die junge
Spanierin und ein Moment der Ratlosigkeit befällt uns. Aber Heinz ist ja für
vieles gut: Bären vertreiben, Holztore aufstemmen, warum nicht auch
medizinische Diagnosen stellen. So nimmt er jetzt auch Madame in näheren
Augenschein. Doch leider muss er dabei zu einem Befund kommen, den wir ohnehin
befürchtet hatten: Madame muss soeben verstorben sein. Auch der Herbergsvater,
der zwischenzeitlich am Bett der Toten eingetroffen ist, bestätigt nach kurzem
Hinsehen diesen traurigen Befund, er wird sofort das Nötige veranlassen. Er
entfernt sich mit ernstem Gesicht und feierlichem Gang. Aber kaum ist er weg,
da schlägt Madame ihre großen, blauen Augen auf und fragt uns, warum wir so um
sie herumstünden. Wie gut, dass — jedenfalls in diesem Augenblick — niemand von
uns auch nur ein einziges Wörtchen Französisch sprechen kann, denn wenn wir ihr
gesagt hätten, dass der Leichenwagen wohl schon unterwegs sei, um sie
abzuholen, dann wäre unsere Pilgerschwester vor Schreck vielleicht doch noch
gestorben. So aber laufen wir erleichtert ins Städtchen hinein.
Sahagún, ein
Konglomerat von Häusern aus vielen Ja Irrhunderten bis in unsere Tage hinein,
hat eine große Vergangenheit und man darf annehmen, dass es bereits römischen
Ursprungs ist. Im übrigen erlitten hier während der Herrschaftszeit des
römischen Kaisers Diokletian, der ab dem Jahre 303 aus Gründen der Staatsräson
das Christentum verboten und verfolgt hat, zwei Christen den Märtyrertod,
Facundus und Primitivus. Beide sollen — pikanterweise — die Söhne eines
römischen Zenturios gewesen sein, also eines Offiziers der in León
stationierten VII. Römischen Legion, von der wir noch hören werden. Den beiden
Märtyrern zu Ehren war hier schon zu Zeiten der Westgoten ein Kloster errichtet
worden. Nach dem Einfall der Mauren von diesen zerstört, wurde es kurze Zeit
später von aus Cordoba geflohenen Mönchen
wieder aufgebaut. Im Jahre 1002 jedoch rückten die Mauren erneut an und
brandschatzten das Kloster, diesmal unter ihrem berüchtigten Heerführer Al
Manzur, den wir schon kennengelernt haben. Sehr viel zu verdanken hat Sahagún
König Alfons VI., der uns auch schon mehrfach begegnet ist. Das war jener
König, der vor dem Cid schwören musste, dass er nichts mit dem Tod von König
Sancho dem Starken, seinem Bruder und Rivalen um die Königswürde, zu schaffen
hatte, als dieser im Jahre 1072 vor Zamora gefallen war. Alfons hatte zunächst
vor seinem Bruder Sancho fliehen müssen, als dieser sich in den
Thronfolgestreitigkeiten durchgesetzt hatte. Damals schon hatte Alfons auch
Zuflucht in Sahagún gefunden. Dem späteren Einfluss seiner zweiten Gemahlin,
Konstanze von Burgund, ist es zu verdanken, dass sich der „Geist von Cluny“
hier besonders nachhaltig festsetzen konnte. Wir haben diesen reformerischen
Wind, der da aus der Heimat Konstanzes über die
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