Auf dem spanischen Jakobsweg
Flasche
und esse von meinem Schinken und Käse. Komisch, wir essen eigentlich jeden Tag
dasselbe: Weißbrot, Schinken, Salami, Käse, Tomaten, Paprika und Obst — und
dennoch steht einem das nicht zum Hals heraus, im Gegenteil. Wahrscheinlich
liegt das daran, dass man als Wanderer immer ordentlich Hunger hat. Und kein
Getränk schmeckt so gut wie das frische Wasser aus den vielen Pilgerbrunnen. Na
ja, die Flasche Rotwein am Abend ist auch nicht zu verachten, macht müde, gibt
tiefen Schlaf und schützt somit vor den gewaltigen Schnarchkonzerten und
anderen musikalischen Darbietungen, die es jede Nacht in den Herbergen gibt.
In den Bäumen
über mir hüpfen lautlos ein paar kleine, braune Vögelchen in den Zweigen herum
und beäugen mich misstrauisch. Ich sitze zwischen halbverdorrten Grasbüscheln,
wohl einer Kerbelart, und höre mir das Grillenkonzert an. Ein metallgrüner,
etwas länglicher Käfer, ein richtig schöner Kerl, hat es auf meinen Käse
abgesehen. Soll er nur, es bleibt genügend für mich übrig und so habe ich hier
an diesem einsamen Flecken einen kleinen Freund gefunden. Nach meiner Brotzeit
lege ich mich auf den Rücken und fühle und rieche die warme Erde unter mir.
Durch die Äste über mir leuchtet der blaue Himmel zu mir herunter. Eine große
Behaglichkeit durchströmt meinen Körper und meine Seele. Ich denke zurück an
all die Jahre, da ich an solchen Sommertagen zum Fenster meines Büros hinausschaute,
sehnsuchtsvoll und ohne Hoffnung, meinen Kerker verlassen zu können. Jetzt aber
habe ich diese Fesseln gesprengt, bin zum fröhlichen Vagabunden geworden und
kann auch den mir angeborenen Wandertrieb, jedenfalls auf dieser Pilgerreise,
ausleben. Ich habe keine Pflichten, ich habe keine Sorgen, ich habe keine
Schmerzen, ich habe keine Angst. Ich bin frei.
Nach einiger
Zeit, heute fallen mir nicht die Augen für ein Mittagsschläfchen zu, gehe ich
durch die ausgetrocknete, magere Wiese weiter hinüber zum Wald, der
niedrigwüchsig und undurchdringlich ist. An seinem Rand schützt er sich
zusätzlich mit allerlei Büschen, die mit Dornen bewehrt sind. Heckenrosen,
Weißdorn, Brombeeren und viele andere Sträucher wachsen hier. Aber ich will gar
nicht in den Wald hinein, ich streife in großer Ruhe an seinem Rand entlang,
ich bin ein Pilger und auch ein Landstreicher, ich bin aber auch ein
schwerfälliger, träger Bär, der sich hier in der Mittagssonne mit süßen
Brombeeren den Bauch vollschlägt. Irgendwann erreiche ich — über Stock und über
Stein — das Dorf Ledigos.
Von Ledigos
aus, das ich rechts liegen lasse, führt der Camino überwiegend auf Feldwegen
bis nach Sahagún, durch ein sanftes, stilles Hügelland und vorbei an ein paar
typischen Meseta-Dörfern, aber auch über einige kleine Bäche hinweg. Die Häuser
in den Dörfern sind hier fast ausschließlich aus Lehm und sehr flach gebaut.
Damit sind sie ihrer Umgebung auch farblich angepasst, eine perfekte Mimikry,
wenn da nicht gelegentlich eine Mauer weiß gekalkt wäre.
Ich habe
trotz der großen Hitze eine stramme Gangart, weil ich mich gut fühle. Deshalb
wundere ich mich, dass nach dem Dorf Moratinos, an dem ich links vorbeigegangen
bin, ein Pilger in einigen hundert Metern Entfernung sich mir hartnäckig an die
Fersen heftet. Es nützt nichts, dass ich sogar noch etwas zulege, der Abstand
zwischen uns verringert sich noch. So werde ich langsam neugierig, wer das sein
könnte, werfe meinen Rucksack hin und trinke Wasser. Ich erkenne Tobias, der
mich nach kurzer Zeit keuchend erreicht.
„Mein lieber
Mann, du hast aber heute ein gewaltiges Tempo drauf“, meint er.
„Wo kommst
du denn her?“ will ich wissen.
„Ich habe
mit Heinz in dem Dorf dort gesessen und da haben wir dich gesehen, wie du da
vorbeigelaufen bist.“
„Und wo ist
Heinz?“
„Ach, der
will ein bisschen langsamer gehen, der hat Schmerzen im Oberschenkel.“
„Hat er
starke Schmerzen?“
„Ich glaub’
schon. Aber der beißt sich durch, der ist zäh.“
„Na ja, ich
denk’, das wäre schon schlimm, wenn man aufgeben müsste.“
„Der gibt nicht
auf, er hat gesagt, er geht notfalls auf einem Bein weiter.“
Gemeinsam
wandern wir westwärts in die Sonne hinein. Nach Sahagún sind es noch knapp zehn
Kilometer, dann werde ich mit meinen Umwegen heute mehr als vierzig Kilometer
gewandert sein. Aber ich fühle mich gut. Erst wenn man sich hinsetzt, um ein
wenig zu rasten, spürt man, dass es wohl kein Spaziergang war.
Die Mudejaren
in
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