Auf dem Weg nach Santiago
außerhalb der
jetzigen Heimat, des Limousin, zu pilgern, auch bewußt, daß nichts gewisser ist
als der Tod und die Stunde desselben, mache ich, Jehan Monguonoilhe, mein
Testament und bekunde meinen letzten Willen.« 2 Antoine Beysseyrège,
»Sohn des verstorbenen Antoine, wohnhaft in der Pfarrei Ladinhac und im
Begriff, ins spanische Königreich zu reisen, will in der Kirche jenes Ortes
begraben werden, in dem er stirbt.« 3 Ebenso Gaillard Fillol, Schmied
in Vic-Fezensac, im Jahre 1458. 4 Noch vorsichtiger ist jener
jugendliche Pilger, der »sich auf die Reise zum heiligen Herrn Jakob in
Galicien macht und von seiner Rückkehr nur weiß, daß sie in Gottes Hand liegt«;
sollte er unterwegs sterben, so möchte er »im Friedhof der anderen Pilger
seines Landes begraben werden, und was die Auslagen für die Beerdigung
betrifft, so sollen sie nach dem Gutdünken seiner Begleiter geschehen, denen er
je zwei Taler vermacht, die ihnen zu übergeben sind, wenn sie das Attest seines
Todes vorweisen«. 5
Raymond Sabatier alias Mazelier erläßt
am 26. März 1373 seine letzte Verfügung. Dabei denkt er nicht nur an seine
Seele. Er überläßt seiner Frau verschiedene bestellte und zu liefernde
Gegenstände und Waren im Lager. 6 Léonard Vauzanges, seines Zeichens
Tuchhändler in Tulle, »in der Furcht, auf dem Hin- oder Rückweg vom Tod
überrascht zu werden, und um den Seinen einen Prozeß zu ersparen«, diktiert am
4. März 1651 ein ausführliches Testament. 7 Vor seinem Aufbruch zur
letzten Wallfahrt gibt Herzog Wilhelm von Aquitanien seinem Oberherrn Ludwig
VII. seine Tochter Eleonore testamentarisch zur Frau — das ist der Anfang
dessen, was Georges Bordonove den »sechshundertjährigen Krieg« zwischen den
Franzosen und den Engländern nennt. (Es finden sich Hunderte von
Pilgertestamenten in Frankreich; sie stellen eine unersetzliche, aber noch
wenig ausgeschöpfte Fundgrube für jeden dar, den die Geschichte der Menschen
interessiert; alles, was dem Menschen zutiefst am Herzen liegt, kommt hier zur
Sprache.)
Die Satzungen der Berufsstände
ermutigen durch Privilegien zur Reise nach Santiago. Die Messerschmiede,
Ringschmiede, Bernsteinschnitzer (Rosenkränze!), Kristallschleifer,
Tuchfabrikanten, Feinmöbelschreiner — alle sichern sich statutenrechtlich die
Möglichkeit, bei ihrer Abreise die Lehrlinge einem anderen abzutreten. Die
Flußfischhändler können den Laden ihrer Frau, einem ihrer Kinder oder sogar
jeder anderen Person nach Wahl überlassen, wenn sie »auf dem Weg [...] des
heiligen Herrn Jakobus« sind; dieses Privileg wird ihnen zu normaler Zeit
verweigert. Die Ausrufer sind von der vorgeschriebenen Abgabe eines Pfennigs
pro Tag während der Zeit ihrer Wallfahrt befreit, falls sie vor ihrem Aufbruch
nach Santiago die Gemeindebehörde benachrichtigt haben. »Wenn sie nach Santiago
oder nach Übersee reisen«, so heißt es in den Statuten, »sollen sie im
Sprechzimmer von den Bürgern Abschied nehmen .« 8
Andere müssen ihre Abreise nicht nur
anmelden, sondern auch um Erlaubnis bitten. Das ist etwa der Fall bei einem
bedeutenden Vasallen, der zu den Waffen gerufen werden kann, wie Henri, dem
Grafen von Rodez. Ihm wird im Jahre 1292 durch Philipp den Schönen die
Erlaubnis erteilt, sich auf den Weg zu machen. 9 Die Chorherren
können ihren Sitz verlassen, aber die Dauer der Abwesenheit ist im allgemeinen
beschränkt; die Statuten des Kapitels von Eymoutiers (im Limousin) bewilligen
im Jahre 1295 denen, die nach Compostela pilgern, zwei Monate. 1351 gestattet
die Satzung der Kathedrale von Metz nur einmal im Jahr die Wallfahrt nach
Santiago, und die Abwesenheit der Kanoniker begrenzt sich auf sechs Wochen, was
bei der Entfernung den Fußmarsch verbietet — im allgemeinen reisen die Geistlichen
auf einem Maultierrücken. 10
So sind Sie also jetzt mit den
zuständigen Behörden im reinen, und der Pfarrer hat Ihnen ein
Empfehlungsschreiben ausgestellt. Das Testament ist gemacht. Nun heißt es noch
Geld auftreiben, sich zur Wallfahrt einkleiden, beichten und Abschied nehmen.
Zuerst das Geld. Falls man nicht
ausschließlich auf die Nächstenliebe angewiesen sein möchte, was ja gewagt und
verdienstlich ist, müssen die Ausgaben für Ausrüstung, Unterkunft und Wegzölle
vorgesehen werden, nicht zu vergessen die Almosen beim Besuch der Heiligtümer.
Aymeri Picaud zählt in seinem Führer des 12. Jahrhunderts in raschem Überblick
die am Pilgerweg liegenden Städte auf, »damit die Pilger, die nach
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