Auf dem Weg nach Santiago
Fische
aus den Gewässern zwischen Estella und Logroño zu essen. Es ist am besten, so
meint er, bis Galicien keine Flußbarbe, keine Alse, keinen Aal und keine Schleie
zu essen. »Wenn einer davon ißt und nicht krank wird, so entweder deshalb, weil
er gesünder ist als die anderen Pilger, oder weil er sich durch einen langen
Aufenthalt im Land an diese Nahrung gewöhnt hat .«
Im allgemeinen gilt: »Alle Fische und
alles Ochsen- und Schweinefleisch in ganz Spanien und Galicien verursachen bei
den Ausländern Krankheiten .« 34 Im 16.
Jahrhundert ereignet sich folgender Vorfall: Der einzige Überlebende einer
Pilgergruppe von Engländern und Schotten ist ein Arzt, weil er allein von einem
gewissen Wasser nicht getrunken hat. J. Fardet, der das berichtet, bemerkt noch
dazu, daß die Flußbarbe zur Laichzeit giftig ist. 35
Alles, was Aymeri Picaud und die
anderen sagen, nehmen Sie natürlich begierig auf. Sie sind auf alles aus, was
von Ihrem Pilgerschicksal berichtet. Ihre Sorge ist es nicht, das Wahre vom
Falschen zu scheiden; es geht Ihnen vielmehr darum, alles zu behalten.
Manche bekannte Gesichter in Ihrer
Gruppe verschwinden wieder aus Ihrem Blickfeld bei der einen oder anderen Rast,
wegen Erschöpfung oder Unfall. Sie kennen jetzt das Verhalten Ihrer Gefährten,
ihre Stimmen und Schrullen. Sie sind nun auf dem Weg schon ganz gut zu Hause
und haben sich vom Gestern und vom Morgen genügend distanziert.
Ihr Körper und Ihr Geist schwingen im
Rhythmus der Tage. In manchen Augenblicken tun Ihnen die Füße mehr weh als den
anderen; es wird so bleiben bis zum Ende, und eigentlich hat das keine
Bedeutung.
Regen, Staub, Schweiß, Schlamm,
stinkende Ställe und unsaubere Herbergen: Ihre Kleidung ist schwer von Schmutz
und Ungeziefer. Gelegentlich waschen Sie sich ein wenig wie Manier in Bayonne
nach vierzig Tagen Marsch; er macht Großreinigung »in einem Kessel, den uns die
Hausfrau geliehen hat«. 36 Man hat Bonnecaze im Krankenhaus von
seinen Flöhen und Läusen befreit; jetzt schläft er »auf den Feldern, auf
Strohbündeln«, 37 um nicht gleich wieder neues Ungeziefer
einzuheimsen. In Roncesvalles können sich die Kranken mit fließendem Wasser
waschen, und die es wünschen, können auch ein Bad nehmen , 38 ein Barbier schneidet ihnen Bart und Haar, darin die Parasiten nur so wimmeln.
Im Hospiz von Aubrac schüttelt man die Mäntel der Pilger über dem großen
Kaminfeuer aus, damit das Ungeziefer herausfällt und verbrennt.
Die Mönche waschen sich im 11. und im
12. Jahrhundert kaum; in den Ordensregeln wird aus dieser freiwilligen
Nachlässigkeit eine Art Askese. Bernhard von Clairvaux stellt jenen Rittern,
die »ihre Pferde mit Seidentüchern herausputzen«, die Tempelritter als Vorbild
hin: »Man sieht sie nie gekämmt, selten gewaschen, mit struppigem Bart,
stinkend vor Staub, fleckig vom Harnisch und von der Hitze .« 39
Es ist wahr, auf dem Weg wird man
schmutzig; am besten, man macht aus der Not eine Tugend.
Schmutz ist wie Müdigkeit und
Einsamkeit ein Element der dem Pilger notwendigen Demut. Ebenso die
Verwundbarkeit, die Furcht desgleichen. Er ist nackt vor Gottes Angesicht,
bestürzt und zugleich ergeben in all die auf ihn einstürmenden Gefahren. Als Laffi
in Hontanas bei Castrogeriz ankommt, ist der Himmel verdüstert vor lauter
Heuschrecken. Ihr Gewimmel bedeckt den Boden. Am Wegrand trifft der Priester
aus Bologna auf einen erschöpften Pilger, der sich dem Tod überläßt. Er kann
ihm nur die Segnung der Religion spenden. Kaum hat der Mann gebeichtet, stirbt
er. »Die grausamen Insekten hatten bereits begonnen, ihn aufzufressen .« 40
Wer wird es morgen sein?
Für diese Unsteten lauert überall
Gefahr. Wir haben es gesehen an den Flußfurten und auf den Fähren; im Wald, wo
die Räuber lauern; in der Pilgergruppe selbst, unter die sich allerlei anderes
Volk mischt, Musikanten, Kaufleute, Sänger, Prediger und Bettelbrüder oder, wie
eine Verordnung aus dem Jahre 1635 aufzählt, »Arbeiter und Barbiergesellen,
Schneider, Prostituierte, Zähneausreißer, Theriakhändler [Theriak: opiumhaltige
Latwerge gegen Schlangenbiß], Taschenspieler, Marionettenkünstler«. 41 Unter ihnen verstecken sich Muschelbrüder, falsche Mönche und falsche Priester
und sogar Häretiker.
Tatsächlich bedienen sich die zuletzt
Genannten der Pilgerwege, um andere Orte aufzusuchen, sich zu verstecken oder
ihre Irrlehre zu verbreiten. Der italienische und provenzalische Weg führt
durch das Gebiet um
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