Auf dem Weg nach Santiago
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Auch der Bologneser Laffi hat sich verirrt.
Es war in den baumlosen Montes de Oca. Er hat überlebt: Es gab Pilze. 52
Eines Abends hatten sich Bonnecaze und
seine Freunde in einem Ölbaumhain verlaufen. »Wir waren gezwungen, unter einem
Ölbaum die Nacht zu verbringen, und in dieser Nacht fiel Frost ein; wir legten
uns übereinander, um die Kälte abzuhalten. Am anderen Morgen waren wir völlig
durchgefroren. Fast zehn Stunden lange habe ich den
Mund nicht aufgebracht zum Reden, und als ich ihn endlich öffnen konnte, meinte
ich, alle Zähne fielen mir heraus. Da ich sehr schwach war, hatte mir die Kälte
härter zugesetzt als den anderen .« In solchen
Augenblicken der Not und der völligen Armut erreicht das Pilgern seinen letzten
Sinn: »Ich erinnerte mich an mein Bett, das jetzt im Haus meines Vaters stand,
und dachte zugleich über meine Berufung nach; ich sagte, ich müsse doch wohl
leiden, um ans Ziel zu gelangen, zu dem mich Gott rief, wie es schien, und daß
dieses Leiden ja nur wegen meiner Jugendvergehen über mich kam und auch, weil
es mich prüfen sollte.« 55
Man kann, wenn man wie Jean de Tournai
genug Geld hat, unterwegs einen Berufsführer engagieren. Es ist aber nicht
immer leicht, solche Leute aus dem Haus zu bringen. »Im Dorf Bidouet [...]
suchte und erbat ich für mein Geld einen Führer; ich fand niemand, der sich mit
uns auf den Weg wagen wollte. Wir gingen also weiter bis zum Dorf Hoffire, elf
Meilen. [...] Wir baten um einen Führer; niemand war aufzutreiben wegen des
schrecklichen Wetters. [...] Wir empfahlen uns also Gott und zogen weiter, so gut
wir konnten .«
Und etwas weiter im Text: »In dieser
Herberge fanden wir einen Führer, aber erst für den anderen Tag, denn am selben
Tag wollte er keineswegs hinaus .« Am nächsten Morgen
warten sie auf den Führer; endlich kommt er und macht sich für einen Preis von
»drei Reales, das sind sechzehn Sous und sechs Deniers«, mit ihnen auf den Weg,
hält aber bald wieder an. Nicht weil er aufs neue Geld herausschinden wollte:
»Er antwortete, daß er genug Lohn bekommen habe, aber nicht weitergehen wolle,
weil es zu gefährlich sei .« 54
Allerdings hat Jean de Tournai noch
Glück gehabt; er hat sich nicht auf einen jener falschen Führer eingelassen,
die die Pilger am frühen Morgen der letzten Etappe erwarten und sich anbieten,
sie kostenlos bis zum Heiligtum zu bringen; in Wirklichkeit sind das Banditen,
die einen in einen verlassenen Wald führen, dort umbringen und ausrauben.
Die Reise nach Santiago ist immer ein
Abenteuer. Laffi und sein Gefährte verbringen in den Alpen schlaflose Nächte
aus Angst vor Steinschlag, überqueren auf Baumstämmen reißende Bergbäche und
erreichen endlich Narbonne. Ein Fährmann bringt sie gratis aufs andere Ufer der
Aude und lädt sie ein, in seiner Schenke zu speisen. »Hier serviert er uns
nichts als einen Salat und läßt uns dafür sechs Sous bezahlen und für den Wein
zehn .« Der Pilger aus Bologna ist wütend; er denkt,
die kostenlose Überfahrt ist ziemlich teuer bezahlt: 55 Für das
gleiche Geld hätte er eine reichliche Mahlzeit bekommen und dazu noch Hafer für
die Pferde.
Einem der Gefährten Maniers wird in
Kastilien von einem französischen Deserteur der Paß gestohlen. Manier selbst
begegnet allein in einem »angenehmen Wäldchen voller Rosmarin« vier Spaniern
auf Maultieren. Man hält an, man plaudert.
»Herr Pilger, seid Ihr Franzose ?«
»Nein, mein Herr«, antwortet Manier.
»Aus welchem Land seid Ihr ?«
»Ich bin aus Savoyen«, flunkert Manier;
er ist überzeugt, daß die Spanier die Savoyarden gern haben.
»Das sind gute Christen !«
Doch Manier versteht, daß sie unter
sich sagen, er sei Franzose. Sie fragen ihn:
»Habt Ihr was in der Hosentasche ?«
»Zu gleicher Zeit«, so erinnert sich
Manier, »kommt einer von ihnen mit dem Messer in der Hand auf mich zu, um mich
niederzustechen, mich rasibus cujus [sic] zu machen und mich dann an
einen Baum zu hängen, den er mir gezeigt hatte. Er hätte mich umgebracht, wenn
nicht einer unter ihnen Mitleid mit mir gehabt hätte, was mir Gelegenheit gab,
zu fliehen .« 56
Ein andermal kommt Manier in ein Dorf,
in dem man ihn wie Bonnecaze in Roncesvalles mit Gewalt zum Militärdienst zwingen
will. Ein Oberst klagt ihn an, fahnenflüchtig zu sein, und gibt vor, sein Hut
sei eine umgeschneiderte Soldatenmütze. Erst als ihn seine drei Gefährten
eingeholt haben, kann Manier weiterpilgern. 57 Der Vorfall geschah
öfters, sonst
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