Auf dem Weg nach Santiago
Albi, die Heimat der Katharer, und verbindet es mit der Lombardei,
wo sich abseits der Kreuzzüge und der Kriege ein Zentrum theologischer
Forschung und lehrhafter Unterweisung der »wahren Religion« am Leben erhält.
Man findet Spuren von falschen Santiagopilgern, die 1272, aus Piacenza in der
Lombardei kommend, in Toulouse haltmachen, um dann nach Compostela
weiterzureisen — es besteht kein Zweifel darüber, daß Piacenza verjagten und
verfolgten Katharern aus Toulouse oft als Zufluchtsort dient.
Auf die Bitte einer ihrer Landsleute
hin nimmt eine Frau in Saint-Martin »um der Liebe Gottes willen« vier Pilger
bei sich auf; erst als diese festgenommen werden, erkennt sie in ihnen die
Häretiker — im Jahre 1240. Ähnlich finden vier andere Häretiker Aufnahme in
Castelsarrasin, werden kurz darauf entdeckt, gefaßt und verbrannt.
In Katalonien wird die Anwesenheit von
Waldensern festgestellt, Schülern des Lyonesers Waldo. Überraschender freilich
ist es, im Gebiet von León Katharer anzutreffen. Ihnen steht im beginnenden 13.
Jahrhundert ein von einem fränkischen Schreiber gefertigtes Lehrbuch zur
Verfügung. Ein anderer Fall solchen Eindringens der Häresie berührt im 14.
Jahrhundert das ferne Galicien. Im Jahre 1316 warnt Bernard Gui, der damalige
Inquisitor von Toulouse, die Bischöfe Spaniens vor den Gefolgsleuten eines
gewissen Dolcino, der 1308 als gefährlicher Häretiker hingerichtet wurde. Der
Erzbischof von Compostela antwortet, daß er fünf von diesen Leuten hat
festnehmen lassen. 42
Im 16. Jahrhundert schwächt eine andere
Häresie ganz fühlbar die Wallfahrtstätigkeit: die Reformation. Doch predigen
die Reformierten den Santiagopilgern wenigstens nicht
auf dem Weg. Nur Laffi beklagt sich darüber, in Orthez »diese Hunde von
Häretikern« gesehen zu haben, »die mit dem Hut auf dem Kopf an den Fenstern
hängen« und sich über die Pilger, die sie als Götzendiener verhöhnen, lustig
machen. 43
»Coquillarden« werden jene genannt, die
sich als Pilger verkleiden und die Jakobsmuschel augenfällig zur Schau tragen,
um dann zu betteln oder das Vertrauen ihrer Opfer zu erschleichen. Manche von
ihnen wandern mit den Santiagopilgern nötigenfalls mehrere Tagesmärsche lang,
um dann schließlich zum Angriff überzugehen. In der Bourgogne macht im 14.
Jahrhundert eine starke, organisierte Bande, bekannt als Coquillardenbande oder
Muschelbrüder, die Gegend unsicher; sie sind eine Welt für sich »mit ihrem
besonderen Zusammenhalt, ihren Gesetzen, ihren Führern und ihrer Sprache [...].
Es sind mindestens fünfhundert; sie führen ein ausschweifendes Leben in den
Spielhöllen und Bordellen von Dijon. Eine wahre Hierarchie zeichnet sich ab:
Die Neophyten sind ›Lehrlinge‹, dann werden sie ›Meister‹ und schließlich
›Älteste‹, indes einer von ihnen ›Muschelkönig‹ ist. Jeder hat sein Fach: Der
›Weinleser‹ stibitzt die Geldbeutel, der ›Beffleur‹ betrügt beim Kartenspiel, der
›Blanc-coulon‹ beraubt die Händler in den Gaststätten, der ›Absender‹ ist
einer, der tötet .« Der Galgen ist in ihrer Sprache die
»Witwe«; sie erwürgt die aufeinander folgenden Gemahle, die ihr der
»Heiratsstifter«, das heißt der Henker, zuführt. Sechs Jahre lang wüten diese
Banditen, bis sie endlich von den Prostituierten angezeigt werden und am 30.
Oktober 1455 in Dijon ihr Urteil hören: Einige werden zum Kessel mit kochendem
Wasser oder siedendem Öl verdammt, andere dagegen »segnen die Erde mit ihren Füßen«
— vom Galgen herunter. Aus ist es mit den Muschelbrüdern. Ihre Organisation und
ihr Geist tauchen freilich alsbald wieder in der »Cour des Miracles« auf. 44 Das war auch mit ein Grund, warum sich die Santiagopilger Bescheinigungen und
Visa besorgten, denn sie wollten sich von den Muschelbrüdern und den falschen
Santiagopilgern unterscheiden.
Doch diese Vorsichtsmaßnahmen bewahrten
nicht vor großen und kleinen Dieben. Die Archive des Departements Gironde zum
Beispiel sind voll von Aussagen bestohlener Pilger, die in Bordeaux um Almosen
bitten:
»Es bittet demütig Claude Arpen,
Kanoniker zu Paris [...], aus Santiago zurückkehrend; er will an der spanischen
Grenze derart von Spaniern bestohlen worden sein, daß er deswegen — so erklärt
der Bittsteller — gezwungen gewesen sei, seither in größter Armut zu leben .«
»Noël Brunelle, Priester und
Musiklehrer auf der Rückkehr aus Spanien, gebürtig aus der Stadt Amiens in der
Pikardie [...], wurde zwischen
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