Auf dem Weg nach Santiago
parents.
Als wir in Rabanal waren,
Wurde mein Gefährte begraben,
Um den ich trauere.
Ich suchte in seiner Tasche
Und fand dort nur ein weißes Papier,
Um einen Brief zu schreiben,
Um seinen Eltern zu schreiben.
Alle wurden sie in ihrem Pilgergewand
zu Grabe getragen, die Hände über dem Stab gekreuzt, auf dem Kopf den großen,
verwaschenen, von Sonne und Regen hart gewordenen Pilgerhut; dazu hat man in
ihr Grab eine Muschel gelegt: Sie soll am Tag des Letzten Gerichts Zeugnis
geben.
Die meisten der einigermaßen
bedeutenden Hospitäler besitzen ihren eigenen Friedhof; es scheint, daß der von
Herreiras den Engländern vorbehalten war. Anderswo werden die Pilger wenn
möglich in geweihter Erde beigesetzt, möglichst nahe an der Kirchenmauer und
sogar »unter der Dachrinne« — ein Klerikern und Mönchen vorbehaltener Platz:
Das Regenwasser fällt geradewegs vom Himmel herab und rieselt über das Dach des
geweihten Hauses, ist also doppelt rein und badet barmherzig ihre ewige Ruhestatt.
Keiner, der sein Haus verlassen hatte,
war sicher, Compostela zu erreichen. Aus allen Ecken und Enden der christlichen
Welt drängt sich nun die zerschlissene Heerschar der Überlebenden zum Grab des
Apostels Jakobus, des Sohnes des Zebedäus und der Maria Salome. Die
Wirtsknechte eilen ihnen entgegen, Schwärme von Kindern rennen ihnen zwischen
die Beine, während die Prozession der Kleriker ihnen mit Kreuz und Fahnen aus
der Stadt entgegenzieht. Darüber hinweg dröhnt die eherne Stimme der größten
Glocke der Christenheit.
Die beiden Züge vereinigen sich. Kniend
empfangen die Pilger den Segen eines Chorherrn, singen alle gemeinsam
Danklieder. Dann setzt sich die Menge, tief ergriffen von frommen Gefühlen und
die Augen zu den Turmspitzen der Kirchen erhoben, in Richtung Compostela in
Bewegung, durchschreitet das Fränkische Tor, erfüllt die Gassen, ergießt sich
auf den Domplatz. Über dem Kirchenportal ragen die glorreichen Gestalten des
heiligen Jakobus und des Weltenherrschers Christus — zum Empfang der tief ergriffenen
Pilger.
Man bekommt eine Vorstellung von dem,
was sich nun ereignet, wenn man im Codex Calixtinus nachliest, was sich
eines Tages auf dem Hinweg zum Grab des heiligen Ägidius in Frankreich
zugetragen hat: Gaskogner und Franzosen lieferten sich eine regelrechte
Schlacht, bei der es einen Toten gab. Oder wenn man sich an den Ablaßtag vom
Jahre 1502 in Notre-Dame zu Le Puy erinnert, einen wegen des ungeheuren Zulaufs
der Pilger denkwürdigen Tag. Die Chroniken berichten, daß die Straßen zu eng
waren; die Menge der Ankommenden überschwemmte Weizenfelder und Rebgärten;
fünfundzwanzig Pilger wurden an einem der Stadttore erdrückt, andere unter den
Mauern begraben, die dem Druck der Menschenmassen wichen; das Gewühl war derart
groß, daß jemand, dem etwas auf den Boden gefallen war, es nicht wagte, sich zu
bücken, aus Furcht, umgestoßen und zertrampelt zu werden; viertausend auf die
Kirchen und die Wege verteilte Beichtväter genügten kaum. 8
Was an anderen Orten selten ist — in
Compostela mag es wohl verhältnismäßig häufig vorgekommen sein, vor allem beim
Nahen des Festes des heiligen Jakobus (25. Juli) und während der
Jubiläumsjahre, in den Jahren also, in denen der 25. Juli auf einen Sonntag
fällt.
In der großen Zeit der Wallfahrt, im
ausgehenden 12. Jahrhundert, ist die um 1080 begonnene Kathedrale so ziemlich
vollendet. Tausende von Pilgern strömen ununterbrochen umher, betrachten die
Kapitelle, drängen sich am Altar, unter dem das versiegelte Apostelgrab liegt,
beten in den Seitenkapellen der ihnen vom Weg her vertrauten Heiligen Martin,
Maria Magdalena, Fides.
In diesem Zeitalter, da die Kirche Haus
des Volkes, Ort der Versammlung ist, fühlen sich die Christen unter dem hohen
Gewölbe daheim. Sie reden, ohne die Stimme zu dämpfen, rufen sich in allen Sprachen
zu, singen Psalmen oder Lieder aus der Heimat, essen, schlafen, geraten in
Ekstase, weinen, schlagen sich an die Brust, beten mit lauter Stimme, treiben
Handel, suchen ihre Gefährten, indes die Kinder um die Säulen herum einander
nachjagen, die Kranken stöhnen, die Priester ganzen Gruppen die Beichte
abnehmen, die Sterbenden sich auf das Hintreten vor Gottes Gericht vorbereiten,
voller Erstaunen, sich hier zu befinden. Der Glaube ist so lebendig, daß mehr
als einer vom Schicksal eines Wilhelm von Aquitanien
träumt. Dieser Herzog, ein großer Sünder, bricht als Pilger auf nach
Compostela; die
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