Auf dem Weg nach Santiago
Keller vorgesetzt hatte .«
Zwei Tage darauf geht nach der Messe in
Saintes ein Edelmann auf sie zu. »Sire, kommt Ihr und Euer Gefährte in mein
Haus, um meinen Wein zu kosten .« Ein bei den Schenkenwirten
übliches Vorgehen. Jean de Tournai versucht sich zu vergewissern und fragt:
»Mein Freund, seid Ihr ein Schankwirt? Verkauft Ihr Wein ?« Der andere antwortet ihm: »Ja, ihr sollt alles haben, was ihr wünscht .« Sie verlassen die Kirche und gehen zum Gasthaus.
»Er ließ uns eine gute Kapaunenkeule
auftragen, auch Speck und Hammelfleisch, und ließ Wein einschenken. Als wir
dann noch um weiteren Wein baten, wurde er uns gern gereicht. Nachdem wir so
prächtig gespeist und Gott Dank gesagt hatten, erklärte ich, wir wollten
zahlen. Darauf erwiderte der Edelmann: ›Auch wenn ihr jeder für einen Gulden
gegessen hättet, würdet ihr nichts bezahlen, keiner von euch, denn Ihr, Sire,
habt mich mit geistlicher Nahrung gesättigt und ich Euch mit leiblicher Nahrung.
Ich bitte euch beide, anzunehmen, was ihr hier vorfandet; ich hätte euch um der
Liebe Gottes willen gern Besseres vorgesetzt.‹ Wir dankten ihm sehr herzlich
und verabschiedeten uns .« 52
neuntes kapitel
COMPOSTELA
Montjoie — Unter der Dachrinne — Das Haus
des Volkes — Hermogenes
bekehrt sich — Das Sternenfeld — Reliquien — Der Katalog von Oviedo — Unter dem
Hochaltar — Der Pilgerstab des heiligen Jakobus — »Man sollte etwas zeigen« — Manier geht zu Tisch — Possen und Schwänke
I n Puente la Reina haben sich die Wege
über Roncesvalles und den Somport vereinigt. In Burgos mündet nun noch der Weg
von Bayonne her in den großen camino francés und verstärkt den
Pilgerstrom aufs neue.
Castrogeriz, Frómista, die einsamen
Weiten zwischen Carrión, Sahagún und Mansilla, die Paläste aus rotem Backstein
und die Festungsmauern aus großen Kieseln — alle liegen schon hinter Ihnen.
León haben Sie durchwandert, Astorga, Rabanal; Sie sind ins Bierzo hinuntergestiegen,
zur Templerfestung von Ponferrada; Sie haben Villafranca erreicht, El Cebrero,
Triacastela... Nach der Wildheit des Klimas und der Farben von Kastilien
umfängt Sie nun geradezu sanft das galicische Land — sachter Regen, Wälder,
Hügel, graue Felsen und über all das hinweg von Westen her der Hauch des
Atlantik...
Ihre Erwartung ist drängender geworden,
Ihre Ungeduld kaum mehr zu zügeln. Puertomarin, Palas del Rey, Castañeda... Und
eines Abends ist Ihnen überraschend zu Bewußtsein gekommen, daß nur noch eine
Nacht zwischen Ihnen und Compostela liegt.
Die Tage verwischen sich plötzlich
hinter Ihnen, die Unterkünfte, die Reliquien, die Ermüdung, auch die Gesichter
der Menschen in dem Auf und Ab des Weges. Morgen wird es sein: Compostela!
Ce nous était l’ordinaire
De faire notre priére
Avant sortir du matin.
Faisant la croix salutaire
Nous nous mettions en chemin.
Es war üblich,
Daß wir unser Gebet sprachen,
Bevor wir am Morgen aufbrachen.
Wir schlugen das heilbringende Kreuz
Und machten uns auf den Weg.
An diesem letzten Morgen ist keiner
beim Aufbruch mürrisch. Und nie ist das Gebet glühender
gewesen.
Indessen nötigt das Pilgerritual noch
zu zweimaligem Halt. So, wie man in Roncesvalles das Kreuz am Berg oben
aufgepflanzt hat und in Triacastela einen Kalkstein in den Sack gesteckt, um
ihn bis Castañeda zu tragen, so muß man sich nun vor dem Betreten des
Wallfahrtsziels waschen, um sauber und zugleich um rein zu sein. Nach Aymeri
Picaud geschieht das »in einem bestimmten Fluß, der zweitausend Schritte von
Santiago entfernt durch ein Gehölz fließt und den man Lava-Mentula nennt, weil die Pilger aus Frankreich
die Gewohnheit haben, aus Liebe zum Apostel sich hier zu waschen, und zwar
nicht nur das Geschlechtsteil, sondern den ganzen Körper, nachdem sie sich
völlig entkleidet haben.« 1 Diese Haudegen Gottes machen aus dem
vornehmen Lava-Mentula lieber
ein Lavacolla (Schwanzwäsche)
oder sogar, wie Manier, Lave-Couille (Hodenwäsche). 2
Laffi vollzieht diese Art neuer Taufe,
Symbol einer Wiedergeburt, an einem Ort mit Namen Villa Roza: »Wir erreichten
einen Brunnen, wo wir uns erfrischten und sorgfältig vorbereiteten; auch
wechselten wir die Kleider; wir wußten nämlich, daß Santiago nicht mehr weit
war .« 3
Von dem Bach weg führt jetzt der Weg
einen steilen Hügel hinauf. Alle Pilger kennen ihn, ohne ihn jemals gesehen zu
haben: Montjoie, Monte del Gozo, Freudenberg. Von dort
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