Auf dem Weg nach Santiago
Glücksfälle werden Bonnecaze
nicht zuteil — wenigstens spricht er nicht davon. In seinem Drang, das Ziel zu
erreichen, und vollständig mit der Sorge beschäftigt, zu überleben, begnügt er
sich mit dem Minimum. Kaum daß er sich daran erinnert, eines Abends erschöpft
von einem Bauern in der Scheune »untergebracht« worden zu sein: »Ich schlief
auf dem trockenen Stroh bis um zehn Uhr morgens .« 49 Trockenes Stroh — welch großartiger Komfort!
Jean de Tournai und sein Gefährte haben
sich im Wald verirrt; ein Holzfäller nimmt sie in sein Haus auf: »Ich bat ihn
radebrechend, ob wir nicht ein Federbett zum Schlafen haben könnten, und er
sagte ja; wir waren nämlich ganz durchnäßt. Der Holzfäller machte uns von dem,
was er besaß, ein sehr gutes Essen, und als wir zu Abend gegessen hatten , [...] erkundigte ich mich nach dem Bett, in dem wir
schlafen könnten. [...] Der Holzfäller nahm eine Heugabel und holte dicht neben
seinen beiden Ochsen Stroh weg. [...] Damit schüttete er uns ein Lager auf, wie
man Streu für Pferde herrichtet. [...] Er breitete eine rote Decke darüber, und
wir legten uns darauf. Zwischen uns und die Ochsen stellte er eine Tonne. In
der Nacht machten die Ochsen sich los und beschnupperten uns, und so verbrachten
wir die Nacht .« 50 Einige Tage später bittet
er wieder irgendwo um ein Obdach. Man bietet ihm an, »bei den Ochsen« zu
schlafen. Er geht weiter, um anderswo zu suchen.
In Galicien erleben Manier und seine
Genossen ein weiteres, wahrhaft »saumäßiges« Mißgeschick. »Wir waren in diesem
Dorf angekommen und fanden Unterkunft in einem der Häuser. Man muß wissen, es
ist in diesem Land üblich, daß Männer und Frauen vollständig angekleidet
schlafen und ihre Leibwäsche nur zweimal im Jahr wechseln. Die Ochsen schlafen
im Haus selbst, sie stehen, durch eine Stange getrennt, an ihrem Freßtrog. Die
Schweine und anderes Hausgetier können sich die ganze Nacht hindurch in allen
Ecken und Winkeln des Hauses frei herumtreiben. Wir Pilger lagen auf drei oder
vier völlig ungenügenden Strohbündeln neben dem Feuer, so daß die Schweine, als
die Stunde ihrer Patrouille gekommen war, uns hier aufsuchten .«
In der Dunkelheit des Hauses spüren die
Tiere die schlafenden Pilger auf. »Zuerst haben sie eine Rübe entdeckt, die
Hermand seit mehr als fünfzig Meilen in seinem Brotbeutel mitgetragen hatte als
Seltenheit und in der Absicht, daraus ein Frikassee für denjenigen unter uns zu
bereiten, der König wird, weil er als erster den Kirchturm von Compostela
erblickt. Diese Rübe wog gute drei Pfund .«
Und nun geht es los: »Die kühnste unter
diesen Säuen hatte sich also an den armen Hermand herangemacht, um seine Rübe
zu fressen. Die lag im Beutel; Hermand aber hatte diesen als Kopfkissen unter
seinen Nacken geschoben. Das Schwein verlangte so gierig nach der Rübe, daß es
mit seiner Schnauze dem Beutel einen mächtigen Stoß versetzte; mit einem
einzigen Biß packte es den Beutel und ein gutes Bündel Haare und riß beides
hinweg.«
Der arme Hermand springt »in die Höhe«
und schreit, man wolle ihn bestehlen und ermorden. Alles erwacht. Einer zündet
die Lampe an. Siehe da, »Monsieur le cochon« liegt im Kampf mit »seinen
Kameraden«, die »die Hälfte der Beute« an sich reißen wollen. Die Spanier
brüllen vor Lachen, Hermand aber »flucht fürchterlich« die restliche Nacht
hindurch. »Wenn man ihn heute noch darauf anspräche«, versichert Manier,
»begänne er aufs neue zu fluchen, so frisch ist ihm noch alles im Gedächtnis .« 51
Die zwei schönsten Wirtshausgeschichten
aber sind Jean de Tournai und Sire Guillaume passiert; man könnte meinen, sie
wären erfunden, um die Gastwirte zu rehabilitieren. Die erste Geschichte
passiert in Plassart, zwischen Blaye und Pons. Unsere beiden Flamen erreichen
das Gasthaus, setzen sich zu Tisch und speisen zu Abend. Nach der Mahlzeit zahlen
sie und machen sich zum Schlafen bereit. In diesem Augenblick kommt der
Besitzer daher und erfährt, daß Jean de Tournai nach Jerusalem, Rom und
Santiago gewallfahrtet ist. »Er freut sich über die Maßen«; und da die
Gastlichkeit ihre Gesetze hat, läßt er aufs neue zum Abendessen auftragen. »Ich
mußte mich allsogleich wieder hinsetzen und mein Geld wieder einstecken, das
ich für mich und meinen Gefährten ausgegeben hatte. Er schenkte uns reichlich
vom besten Wein ein, den wir jemals getrunken, und schalt seine Frau heftig,
weil sie uns vom minderwertigsten Wein aus dem
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