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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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Skrupeln, sei es aus frommer Habsucht,
sei es aus geradezu touristischer Neugier, neben dem großen Ziel Santiago noch
andere Heiligtümer aufzusuchen«. 31
    Also verläßt Nompart de Caumont
Compostela und wandert zum Gebet nach Nuestra Señora de Finibus Terrae hinunter
— »von hier aus ist kein Land mehr zu sehen« — und kommt endlich nach Padrón:
»Das ist der Ort, wo unser heiliger Herr Jakob von jenseits des Meeres ankam,
wo ihm die Sarazenen den Kopf abgeschlagen hatten; er kam auf einem Schiff aus
Stein, Kopf und Körper voneinander getrennt, ganz allein, ohne irgend etwas
anderes, und ich habe das Schiff am Meeresstrand gesehen.« 32
    Auch Jean Taccouen, der 1512 mit dem
Schiff von Portugal heraufkommt und an Padrón vorbeisegelt, sieht das
wunderbare Steinschiff; er bemerkt außerdem neben dem Schiff einen großen
Steinmast am Boden liegen und hört sagen, daß nur ein Christ im Stand der Gnade
diesen Mast bewegen könne. »Ich habe niemanden getroffen, der mir versicherte,
er habe ihn bewegt«, 33 so stellt Taccouen lakonisch fest.

 
    zehntes kapitel
     

DER STERNENWEG
     
     
      Tausend Pilger täglich — Die
Herausforderung des Don Suero — Sie
tanzen, hüpfen und springen — Die Pilger sind zurückgekehrt — Staubige Füße —
Lebenslänglich Galeere — Die Pilger der Liebe — Die Brücke von Brioux — Charterfahrten nach Compostela — Pernette und Karl der Große
     
     
    I m beginnenden 12. Jahrhundert begibt
sich der Botschafter des Emir Ali Ben Yussuf nach Galicien zur Königin Urraca.
Er ist entsetzt über die verstopften Straßen. »Wer ist denn dieser große und
berühmte Mann«, so fragt er sich, »zu dem sich die Christen von jenseits der
Pyrenäen und noch von weiter her begeben, um zu ihm zu beten? Die Menge derer, die
kommen und gehen, ist so groß, daß sie die Straßen ins Abendland geradezu
überfüllt !«
    Es besteht keine Möglichkeit, die
Anzahl der alljährlich nach Compostela pilgernden Menschen mit einiger
Genauigkeit abzuschätzen. Daniel-Rops gibt eine halbe Million an; 1 René de La Coste-Messelière mäßigt diese Angabe: zweihundert- bis
fünfhunderttausend in den größten Wallfahrtsjahren, entsprechend den im »Centre
d’Etudes compostellanes« durchgeführten systematischen Ermittlungen aufgrund
aller datierten Wallfahrten, ohne dabei die Schätzungen der verschiedenen
Beobachter jener Zeit in Betracht zu ziehen.
    Hält man an der niedrigsten Zahl, also
200 000 Pilger, fest und gesteht man zu, daß fast zwei Drittel der Wallfahrer
im März und im April aufbrachen, wie es die Datumsangaben auf den Testamenten nahelegen,
so kommt man zu einem kaum glaublichen Ergebnis: Mehr als tausend Pilger
durchquerten im Frühjahr täglich die kleinen Dörfer am camino francés —
und diese allein in Richtung Santiago.
    Eine überkommene — und falsche —
Vorstellung will, daß die Wallfahrt seither nach und nach zurückging, Opfer
eines durch die Reformation eingeleiteten Verfalls. In Wirklichkeit spiegelt
der Verkehr auf den Pilgerstraßen nach Santiago treu die Krisen der Geschichte
und die Entwicklung des Glaubens wider. Zeiten des Niedergangs und Zeiten neuen
Auflebens folgen aufeinander und werden weiter aufeinander folgen.
    Als im 14. Jahrhundert die religiöse
Kraft, die die Kathedralen erbaute, erlahmte, zwang auch die Pest die Städte,
ihre Tore zu verrammeln und den Fremden den Eintritt zu verwehren; die
Kampfpausen während des Hundertjährigen Krieges setzten inganz Frankreich Horden von Söldnern frei, die die Wege beherrschten. Es waren
schlimme Zeiten für die Reisenden.
    Vielleicht hat gerade die Schwierigkeit
des Unternehmens jene Pilgerritter zur Wallfahrt angestachelt, von denen man in
den Registern der Kanzlei von Aragonien lesen kann und die anscheinend mehr
Heldentaten als Ablässe suchten.
    Im Sommer 1434 — es ist ein
Jubiläumsjahr — beschließt ein Ritter aus León, Suero de Quiñones, in Puente de
Orbigo aus Liebe zu seiner Dame im Namen des heiligen Jakobus zwischen dem 10.
Juli und dem 10. August alle Ritter, die die zwanzigbögige Brücke über den Río
Orbigo überqueren — es werden an die dreihundert sein — , zum Zweikampf
herauszufordern. Jeden Tag also, mit Ausnahme des 25. Juli, des Apostelfestes,
erwartet Suero de Quiñones zusammen mit neun seiner Gefährten die Ritter am Paso
Honroso, am »Ehrendurchgang«. In einem nahen Wäldchen sind Turnierplätze
angelegt worden. Achtundsechzig Ritter unterliegen im Zweikampf- nach

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