Auf dem Weg nach Santiago
Reinheit. Bei den großen Prozessionen am 25. Juli sorgen sich die Mitbrüder
ebensosehr um eine äußere Schaustellung wie um die Feier des heiligen Jakobus
selbst, und dies trotz der Warnungen im Lied von den Pflichten der Pilger:
Qui fait ce saint voyage
Peut beaucoup mériter
Mais si d’esprit volage
Il voulait s’en vanter
Ne lui prête pas l’oreille.
Wer diese heilige Reise macht,
Kann sich große Verdienste erwerben.
Aber wenn er sich leichtfertig
Dessen rühmen will,
So schenk ihm kein Gehör.
Und dabei sind Eitelkeit und Prahlerei
noch die kleineren Übel. Die Zuchtlosigkeit ist die Kehrseite des Eifers.
Bischof Pierre d’Orgement muß 13 8 8 in Paris die Kanoniker des Hospitals
Saint-Jacques zur Ordnung rufen: »Wer in Klerikerkleidung in die Schenke geht,
sei für drei Tage vom Chorgebet ausgeschlossen. [...] Wenn das Chorgebet
gesungen wird, soll in der Mitte eines jeden Verses eine Pause gemacht werden, und
die eine Chorseite beginnt den nächsten Vers erst dann, wenn die andere den
vorhergehenden vollständig beendet hat.«
Diese unter König Ludwig X. dem
Eigensinnigen gegründete und durch Karl von Valois und Étienne Marcel reich
dotierte Bruderschaft macht eher durch ihre Schlemmereien von sich reden als
durch ihre Frömmigkeit. Im ausgehenden 16. Jahrhundert wird ein Chorherr
fortgejagt, weil er an Syphilis erkrankt ist; andere bestellen »bezahlte
Frauen« auf ihre Zellen. Nach Antoine Fusil, einem Pariser Pfarrer und
Professor an der Sorbonne, »läßt sich derlei im Juli bei der Prozession von
Saint-Jacques-de-l’Hôpital beobachten. Da wird irgendein fröhlicher Zecher als
heiliger Jakobus verkleidet, mit Hut, Stab, Wasserflasche und muschelbesetztem
Gewand. Die Flasche macht die Runde, und Gott weiß, wie während des Essens der
Weinschlauch herumgeht. Nach dem Essen tanzen sie zum Tamburin zu Ehren des
Festes einen wahren Hymnus des Fleisches; so feiern sie ihre Wallfahrt wie ein
Bacchanal und verkehren die Heiligkeit ihres Festes. Sie tanzen, hüpfen und
springen zu Ehren der mutmaßlichen Verdienste ihrer Reise nach Santiago. Es ist
gotteslästerlich, das Gedächtnis der Apostel und Diener Gottes so schamlos zu
verhöhnen .« 9
Die Straßburger Bruderschaft wird 1524
im Zuge der Reformation aufgelöst. Außergewöhnlicherweise vereinen sich vom
Jahre 1578 an Katholiken und Protestanten zu gleichen Teilen in der
Sankt-Jakobs-Gilde von Harlem für die gemeinsamen karitativen Werke. 10 Die Jakobsbruderschaft von Aurillac ist ab 1583 nicht mehr nur den einstigen
Santiagopilgern vorbehalten; sie steht auch den Reisenden, Kaufleuten,
Spediteuren, Boten und Pilgern überhaupt offen. 11
Zur selben Zeit läßt die Bruderschaft
von Orléans die Jakobuskapelle neu herrichten, schmückt sie reich aus, läßt
eine kleine silberne Statue des Apostels gießen und in einen ledernen Behälter
einschließen; für den »König des Stabes« bestellt sie einen prächtigen
Pilgerstab und ein Gewand, alles zusammen für 75 Écus. 12 Ehrenstäbe,
Prunkhüte, Prozessionen, Umzüge — man sieht die Bruderschaftsmitglieder öfter
auf Festen als auf dem Weg nach Santiago.
Indessen kommt gegen Ende des 16.
Jahrhunderts wieder Leben in die Wallfahrt. Der Reformation stellt sich die
Gegenreformation entgegen. In den Jahren 1562 und 1563 verkündet das Konzil von
Trient insbesondere die Rechtmäßigkeit des Heiligen- und Reliquienkults.
Massaker und Religionskriege wüten. Die Wallfahrt kommt wieder zu Ehren, die
Lieder, die stets ihre Zeit widerspiegeln, bezeugen es:
Quand nous fûmes en Saintonge
Hélas mon Dieu
Nous ne trouvâmes point d’églises
Pour prier Dieu
Les Huguenots les ont rompues
Par leur malice
C‘est en dépit de Jésus-Christ
Et la Vierge Marie.
Als wir in der Saintonge waren,
Ach mein Gott!
Da fanden wir keine Kirchen,
Um zu Gott zu beten.
Die Hugenotten haben sie zerstört
In ihrer Bosheit,
Jesus Christus und der Jungfrau Maria
Zum Trotz.
Pilger aus der Auvergne, die aus
Santiago zurückkehren, finden ein zerrissenes Land vor:
De Chin-Dzaque laupelerins
Sont revingiu
Ein apriban de gran tsagrins
Nous sont vingiu
Lau zhuguenots, lau catholiqueys
Se tiou entr’i
Dien dau pay, lau zhérétiqueis
On tout detrui
Iys ont tsossa touto lau moeneys
De liur couvins
Bouta for‘ lau Chin-Austremoineys
Lau Capuchins
Tout a lafilha a Chin-Blaye
Su le pové
Lo moèr abesso vey et nous paye
BeyunAve. 13
Die Pilger sind
Aus
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