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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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mich widerstrebend auf einen »schnellen Kaffee … nur einen kleinen Plausch … ein Pläuschchen« eingelassen.
    Ich hatte bereits zehn Minuten damit verbracht, Garys Mund anzustarren, während Worte herauskamen. Große, runde Worte, neblig und bedeutungslos. Doch dann, als käme man aus einem langen Tunnel und merkte, dass das Radio noch lief, war er wieder da.
    »… wie schwer es für dich sein muss, dass sie einen anderen hat«, sagte er, und ich spitzte die Ohren. »Aber irgendwann wirst du die Verantwortung für dein Tun übernehmen müssen. Heb die Hände, sag: ›Ich hab’s vermasselt‹, und zieh weiter. Sonst wird dein Leben nicht mehr lebenswert sein.«
    Von jedem anderen hätte diese letzte Zeile bedrohlich klingen können. Ein Warnschuss vor den Bug. Bei Gary kam es rüber wie aus einer schwächeren Episode von Dr. Phil .
    Ich versuchte, ihn aufzuhalten.
    »Es ist gar nicht so, als würde ich sie noch lieben«, sagte ich und starrte in meinen Becher, doch er ignorierte mich und redete einfach weiter.
    »Das haben wir doch alle schon mal durchgemacht«, sagte er, und mir fiel sein Fleecepulli auf. Dubai Desert Classic 2004 und ein kleines Logo von Emirates . Keine Fusseln, keine Flusen. Er pflegte seinen Pulli. »Ich meine, mal gewinnt man, mal verliert man. Aber so ist das auf der Welt nun mal. Das Leben ist zu kurz.«
    Plötzlich wurde mir bewusst, wer Gary war. Gary war ein Mensch, der Sachen wie »Das Leben ist zu kurz« sagte, als wären sie ihm gerade eben eingefallen. Wahrscheinlich hielt er sich für ein Genie, weil ihm etwas derart Profundes wie »Das Leben ist zu kurz« einfiel.
    »Du solltest jeden Tag so leben, als wäre es dein letzter«, sagte er und tat zumindest so, als fände er die Situation beklemmend. Er starrte einen Fleck auf dem Tischtuch an. »Und wenn man sich so an jemanden klammert …«
    »Ich klammere mich ganz bestimmt nicht an Sarah«, sagte ich. »Ich war betrunken und saß vor meinem Computer, und – ja – ich gebe zu, ich habe einen Fehler gemacht – ich habe einen Riesenfehler gemacht – und du kannst dir dafür auf die Schulter klopfen, weil du so einen Fehler noch nie gemacht hast, aber Menschen machen nun mal Fehler, Gary …«
    O Gott. Gerade habe ich »Menschen machen nun mal Fehler« gesagt. Ich bin schlimmer als Gary.
    »Es hat keinen Sinn, in der Vergangenheit zu leben«, sagte er.
    Andererseits …
    Es war peinlich. Als würde ich ausgeschimpft. Ein erwachsener Mann. Jemand, der absolut in der Lage ist, eine Beziehung zu verdauen. Und ich glaube, genau deshalb genoss er es so sehr. Er tat es nicht aus Mitleid oder Sorge. Er tat es, um sagen zu können: »Sieh mich an. Sieh dir an, was ich alles kann. Ich kann nicht nur Sarah glücklich machen, ich bin sogar so großartig, dass ich dir sagen kann, woran du scheiterst, warum du ein Versager bist, und trotzdem den Anschein erwecken, als täte ich dir einen Gefallen. Im Grunde sollte ich einen Zylinder tragen.«
    »Gary, hör zu, ich muss los«, sagte ich, riss mich aus meinen Gedanken und versuchte, eine halbe Tasse Kaffee in einem Rutsch auszutrinken. Ich rückte meinen Stuhl zurück, um zu zeigen, dass es mir ernst war.
    »Dev wird sich wundern, wieso ich den Laden zugesperrt habe. Er lernt gerade ein polnisches Lied. Und dienstags zwischen drei und vier ist bei uns am meisten los. Bei ihm . Ich arbeite da nicht.«
    Gary geriet in Panik.
    »Bevor du gehst, Mann«, sagte er. »Hör mal … es steht mir nicht zu, das zu sagen, aber …«
    Aber was?
    Er machte eine Pause und schien sie zu genießen. Normalerweise genieße ich Pausen auch. Ich kann für alles eine Pause einlegen, bis zu einer Minute. Es ist wie eine Gabe. Sarah hat immer gesagt, das Leben passiert in den Pausen, manche Pausen sind lange Pausen, tröstliche Pausen. Die Pause, die einem ein Taxifahrer schenkt, sobald man den Straßennamen gesagt hat, kurz bevor das Nicken einem bestätigt, dass er den Weg kennt. Die Pause zwischen der Werbung im Kino, wenn die Musik und die Bilder und der Lärm mit einem Mal aufhören und nur noch das Leuchten eines Handys, das gerade abgeschaltet wird, oder das unsichere Knistern von Bonbonpapier übrig bleibt. Diese Pause jedoch … es war keine gute Pause. Diese Pause spendete keinen Trost.
    »Vergiss es.«
    »Bitte?«
    »Nein, es steht mir nicht zu.«
    »Was, Gary?«
    Eine abschließende, endgültige Pause. Eine schnelle diesmal, wenn auch deshalb nicht tröstlicher.
    »Nein.«
    Und damit warf er einen

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