Auf den ersten Blick
für sie nur der Typ hinter der Theke bei Benji’s?
Wieso sprach er sie denn nicht an?
Aber ich wusste, wieso. Weil die Furcht an einem nagt, dass diese Momente nur in der eigenen Vorstellung existieren. Blicke treffen sich nicht in überfüllten Räumen, zwei Leute denken nie genau dasselbe, und wenn nur einer diesen Moment erlebt, ist es dann überhaupt ein Moment?
Das wissen wir, also sagen wir nichts. Wir wenden uns ab, tun, als suchten wir nach Kleingeld, hoffen, dass der andere die Initiative übernimmt, weil wir dieses Gefühl der Erregung, der Chance und der Lust nicht verlieren wollen. Es ist einfach zu perfekt. Diese kleine Sekunde der Hoffnung ist ein Schatz, vielleicht für immer, bis wir auf dem Totenbett liegen, umgeben von unseren Kindern und Enkeln und Urenkeln, und noch im Sterben widmen wir einen letzten, selbstsüchtigen Gedanken dem, was vielleicht passiert wäre, wenn wir vor vierundsiebzig Jahren zu dem Mädchen mit den Uggs, das draußen vor dem Nando’s CD s verkaufte, tatsächlich »Hallo« gesagt hätten.
Es geht um das Was wäre, wenn? . Das Was dann? . Und wir wissen, wenn wir es wagen, wenn wir das Risiko eingehen, verlieren wir den Schatz vielleicht noch im selben Moment. Doch etwas in uns glaubt seltsamerweise daran, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht, denn so muss es sein, es ist einfach zu besonders. Wir glauben, dass da etwas Gemeinsames war, selbst wenn die Beweise, die wir haben … was sind? Ein Blick, der einen Atemzug länger dauerte, als wir es gewohnt sind? Ein zweiter Blick, der ebenso nach einem Taxi Ausschau halten könnte oder sich fragt, ob die Jacke, die man trägt, wohl auch ihrem Freund gut stehen würde, oder wieso man sie eigentlich die ganze Zeit anstarrt?
Wo bist du? Du hältst dich im Zug nicht an den Griffen fest. Hatte gehofft, es würde dich umwerfen und du würdest mir in den Schoß fallen. Leider nicht.
Ich lächelte. Diese kleinen Momente, nie laut ausgesprochen, makellos wie kleine Haikus – Sehnsucht und Romantik in den Staub einer stinkenden Stadt geschrieben.
Und schließlich kam ich zu meiner.
Ich las sie.
Wo bist du? Wir trafen uns in der Charlotte Street. Du stiegst ins Taxi. Ich hab da noch was, was dir gehört. Melde dich, wenn ich es dir wiedergeben soll.
Na also.
Pragmatisch. Nicht sensationell, nicht atemberaubend, wahrscheinlich nichts, was wir bei unserer Hochzeit vorlesen würden, aber okay.
Dann kam meine Haltestelle.
Ich stand auf und ließ die Hoffnung eines anderen Menschen auf dem Sitz neben mir, nahm aber auch etwas von meiner eigenen mit.
Als ich ins Büro kam, vollgepackt mit Kaffeebechern und Croissants (inzwischen etwas stromlinienförmige r … Clem macht Diät, und Sam backt ihre krümeligen Muffins selbst), spürte ich, wie mein Handy in der Jacke vibrierte.
Eine SMS von Sarah.
»Danke, Jase … eine hübsche Geste. Bald mal Drinks? (natürlich antialkoholisch) x.«
Ich lächelte still in mich hinein. Das war das andere gewesen, was ich gestern noch gemacht hatte, während ich im Internet herumstreunte und so tat, als würde ich recherchieren: Ich hatte Sarah ein paar Blumen geschickt. Nichts Großartiges. Nur ein einfacher Strauß mit einer kleinen Karte, um ihr und – natürlich – Gary zu der frohen Kunde zu gratulieren. Es hatte keinen Sinn, wegen einer Schwangerschaft gekränkt zu sein. Wenn man sich von einem Baby unterkriegen lässt, wird es Zeit, den Kampf aufzugeben.
Damit will ich keineswegs vorschlagen, dass man Babys bekämpfen sollte.
Ich antwortete.
»Gern geschehen. Glückwunsch noch mal. Tut mir leid wegen … allem. Kaffee wäre nett.«
Ich drückte Senden und starrte das Display einen Moment lang an. Es war richtig gewesen, das zu tun. Aber trotzdem glaubte ich nicht, dass ich ihr gegenübertreten konnte. Noch nicht. Vielleicht wenn ihr Baby … wie alt war? Achtzehn ? Auf der Uni? Immer noch zu früh.
Vielleicht wenn ich in Rente ging.
Als ich ins Büro kam, setzte sich Zoe gerade hin.
»Wem hast du gesimst?«, sagte sie lächelnd. »Bin draußen direkt an dir vorbeigelaufen. Du wirktest vertieft.«
»Ach, weißt du …« Ich stutzte. »Sarah.«
»Sarah?«, sagte Zoe, und da war ein Blitzen in ihren Augen, das ich nicht ganz zuordnen konnte. »Also seid ihr zwei …«
»Nein.«
»Ihr seid nicht …?«
»Nein.«
Pause.
»Schade.«
Ich nahm den Deckel von meinem Kaffee und setzte mich an meinen Schreibtisch.
»Ihr zwei habt gut zueinandergepasst«, sagte sie und
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