Auf den ersten Blick
weißes Haus am Ende der Straße. Und am oberen Rand sah man ein halbes Wort. Die untere Hälfte.
»Alaska«, sagte Dev, als er mir das Foto wegnahm.
»Kann nicht sein … das ist ein Rechtslenker. Britisch. Ein Import wäre vielleicht eine Möglichkeit, aber …«
»Ich meine nicht in Alaska«, sagte ich. »Es ist bestimmt nur der Name des Gebäudes. Was ist das? Eine Fabrik? Vielleicht eine Fabrik. Vielleicht arbeitet sie in dieser Fabrik.«
»Was sollen die da herstellen?«, sagte Dev. »Niemand stellt Alaskaner her. Die sind einfach nur … Alaskaner.«
»Weiß nicht«, sagte ich, denn plötzlich rasten meine Gedanken. Ich sammelte die anderen Fotos ein und fing an, sie durchzublättern, als mir ein seltsamer Gedanke kam … ich hatte zu sehen gelernt.
Ich hab da mal ein Buch gelesen, das »Der Fisch in uns« hieß. Geschrieben hatte es ein Wissenschaftler, der von seinem Fund eines dreihundertfünfundsiebzig Millionen Jahre alten Fischfossils besessen war, weil wir seiner Meinung nach alle davon abstammten. Dieses Lebewesen hatte den Weg vom Staubkorn zum brusttrommelnden Affen schon halb geschafft, ein Fisch mit Hals und Ansätzen von Handgelenken. Dieses Tier hatte es aus den Wirren des Wassers in die unbekannte Welt geschafft. Und ohne den Fisch wäre diese Welt auf ewig unbekannt geblieben. Wir hätten überhaupt keine Welt. Nichts zu tun und nirgendwo zu sein. Keine Mädchen in Taxis, keine Tagessuppe, überhaupt nichts. Der Autor landete in der kanadischen Arktis, mit einer Gruppe von Wissenschaftlern, die alle nach denselben Fossilien suchten. Wochenlang lief er ihnen hinterher und verzweifelte jedes Mal, wenn sie etwas fanden, er aber nicht. Was hatten andere Menschen, was er nicht hatte? Was fehlte ihm?
Und dann, eines Tages, begriff er. Er hatte sich nicht richtig konzentriert. Seine Prioritäten waren falsch gesetzt. Er wusste nicht, wonach er suchen sollte. Er wusste nicht, wie er gucken sollte. Doch in dem Moment, als er es tat – in dem Moment, als er seinen ersten Fisch sah –, leuchtete der Boden förmlich vor Fossilien, glitzernd in der Morgensonne. Ich fasse zusammen, romantisiere vielleicht sogar ein wenig, aber so klang es für mich. Plötzlich, sobald es ihm bewusst wurde, sobald er die Augen aufmachte, waren diese Fossilien überall, zwinkerten ihm zu, winkten, beglückwünschten ihn dafür, dass er endlich sehen konnte, und funkelten wie Diamanten. So kam es mir jetzt vor. Diese Fotos waren voll funkelnder Diamanten.
Vielleicht hatte ich den Fisch in mir gefunden.
Ich war beeindruckt. Dieser andere Typ hatte neun Jahre und Hunderte von Seiten gebraucht.
Immer wenn ich die Fotos betrachtet hatte, sah ich eigentlich nur das Mädchen. Nicht einmal, als ich an der Stelle stand, wo die Bilder gemacht worden waren, hatte ich ernstlich begriffen, dass jemand tatsächlich irgendwo fotografiert haben musste. Es klingt verrückt, aber weil es nicht meine Fotos waren, schienen mir die Orte nicht real zu sein. Reale Orte hätte ich besuchen können, oder ich hätte daran vorbeigehen oder – wie im Fall des Café Roma – sogar darin sitzen können.
»Wir müssen unbedingt …«, sagte Dev und versuchte dabei, mir die Bilder wegzunehmen, »… eine Verbindung herstellen. Ein gemeinsames Thema.«
Ich rümpfte die Nase.
»So läuft das mit Fotos nicht, oder?«, sagte ich. »Man fotografiert nicht nach Themen. Man fotografiert einfach.«
»Ja«, sagte Dev. »Zugegeben. Aber das stimmt für Digitalkameras. Wir sprechen hier von der Psychologie des Einwegs.«
»Wieso kann es nicht einfach Zufall sein?«, sagte Matt, und ich empfand Stolz, wie ein Lehrer.
»Weil Einwegbilder alles andere als Zufall sind«, sagte Dev und klang dabei, als hätte er es einstudiert.
Er machte ein weises Gesicht und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Matt und ich beugten uns vor, merkten jedoch, dass sich unsere Gesichter etwas zu nah kamen, und lehnten uns wieder an.
»Die Sache mit den Einwegkameras ist doch, dass die Bilder etwas Besonderes sind. Normalerweise weiß man, dass man Fotos einfach löschen kann, die einem nicht gefallen, also drückt man ab, ohne einen Gedanken an die Qualität oder den richtigen Moment zu verschwenden. Man wirft einen Blick darauf und findet, dass man zu betrunken oder zu aufgeschwemmt oder zu müde aussieht, und knipst schnell ein anderes mit seinem speziellen Foto gesicht. Aber das hier …«
Er hob das Päckchen mit den Fotos auf und wedelte damit in der Luft
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