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Auf den ersten Blick

Auf den ersten Blick

Titel: Auf den ersten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Wallace
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Robbenfellfabriken wohnen. Oder an sonst irgendeinem Ort, wo einst Fleischer und Schlächter und Färber ein und aus gingen. Der Hinweis befand sich am gemauerten Torbogen, eine dunkle, feuchte Alaskarobbe, aus Stein gemeißelt. Gegenüber war ein Pub, das Final Furlong, das blau kariert, aber verriegelt und verrammelt war. Kein Mensch auf der Straße. Und kein Lebenszeichen aus der Fabrik.
    Aber trotzdem. Vielleicht wohnte sie da. Oder hier in der Nähe. Vielleicht ging sie öfter ins Final Furlong.
    Offen gesagt, falls sie ins Final Furlong ging, würde es mit uns wohl nichts werden.
    Das Foto steckte in meiner Tasche. Ich hatte die tolle Idee gehabt, dass ich vielleicht jemanden fragen und mich dabei ganz natürlich und unauffällig geben konnte. »Haben Sie dieses Mädchen schon mal gesehen?« Das passiert doch dauernd. Die Leute machen das doch auch mit ihren Katzen! Und es ist ja nicht gerade so, als wäre ich ständig in Bermondsey. Als würde mir ein Ruf vorauseilen.
    Ich lief ein Stück die Straße hinauf, bis ich die einzige echte Spur von Leben fand, in einem Kebabladen. Ich sah mir das Foto von dem Mädchen noch mal an. Dieses Mädchen sah nicht aus wie ein Mädchen, das Kebab aß, sondern wie ein Mädchen, das sich zum Mittag wahrscheinlich einen Salat von Marks & Spencer kaufte, dazu ein Milky Way, wenn es mal über die Stränge schlagen wollte. Das gefiel mir an ihr. Sie wirkte … gesund . Sie strahlte irgendwie. Doch das konnte nicht von der unumstößlichen Tatsache ablenken, dass selbst Mr Motivator höchstpersönlich hin und wieder einen Kebab braucht.
    »Hi«, sagte ich, als der Mann hinter dem Tresen sich endlich umdrehte. »Hören Sie, es klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber kommt dieses Mädchen manchmal hierher?«
    Er runzelte die Stirn, schob die Chilisoße beiseite und nahm mir das Foto aus der Hand.
    »Dieses Mädchen?«, sagte er. »Vermisst?«
    »Vermisst? Nein, sie ist … ich versuche nur, sie zu finden. Wir haben den Kontakt verloren.«
    Es schien mir nicht der rechte Augenblick zu sein, die Sache mit der Kamera zu erklären.
    »Ehefrau?«
    »Nein. Eine Freundin.«
    »Wieso Kontakt verloren?«
    »Einfach … Sie wissen schon.«
    »Streit gehabt?«
    »Nein. Also … kommt sie manchmal hier rein?«
    »Nein«, sagte er und sah sich das Bild noch immer an. Doch dann: »Du kannst in Fenster hängen.«
    »Hm?«
    »Ja. Mach Kopie, häng in Fenster. Vielleicht kommt sie vorbei. Wieso meinst du, sie kommt hierher? Mag sie Kebab?«
    Er lachte ziemlich lange.
    »Na ja, das Foto wurde gleich da drüben aufgenommen, und …«
    »Mach Kopie. Komm, guck …«
    »Nein, ist schon okay. Das ist wahrscheinlich etwas …«
    »Ja, mach Kopie! Komm!«
    »Geht schon …«
    Aber er hielt an dem Foto fest. Und dann rief er etwas. Rief nach jemandem, der oben war, er solle runterkommen. Ein ganz junger Bursche – siebzehn vielleicht und in einem uralten Los-Angeles-Lakers-T-Shirt – schob den Kopf zur Tür herein, und der Mann, der mit ihm sprach, wie nur ein Vater es tun würde, bellte Anweisungen. Der Junge nahm das Foto und schloss die Tür, während er das Bild betrachtete.
    »Er macht Kopie. Canon. Drucker macht jetzt Kopie. Canon.«
    Er nickte, und ich machte ein beeindrucktes Gesicht und sagte: »Canon.«
    Ich war mir nicht sicher, was die Etikette in diesem Fall vorsah. Dieser Mann tat mir in gewisser Weise einen Gefallen. Half mir, meine alte Freundin zu finden, zu der ich den Kontakt verloren hatte, indem er ein Foto von ihr ins Fenster seines Kebabladens hängte. Ich schätze, es bedeutete wohl, dass ich einen Kebab kaufen sollte.
    »Mh … wenn ich schon mal da bin, hätte ich gern einen Kebab, bitte.«
    »Chilisoße?«
    Minuten später ging die Tür wieder auf, und der Junge kam heraus, mit einer schlechten Kopie des Fotos. Darüber und darunter hatte er Platz für eine Nachricht gelassen und eine Auswahl bunter Stifte mitgebracht.
    »Los«, sagte der Mann. »Schreiben!«
    »Oh … okay«, sagte ich.
    Es war peinlich. Ich hatte dem Mann gesagt, wir seien Freunde gewesen. Die den Kontakt verloren hatten. Wie wollte ich es formulieren, ohne dass ich allzu geistesgestört wirkte?
    Ich schnappte mir einen grünen Stift, doch dann fiel mir ein, dass ich mal gehört hatte, nur Psychopathen schrieben mit grünen Stiften, also nahm ich lieber den roten.
    »Bist du dieses Mädchen?«, schrieb ich, und der Mann beobachtete mich die ganze Zeit, während er Pommes in einem Sieb schüttelte. »Wenn

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