Auf den ersten Blick
herum.
»… das hier sind echte Schnappschüsse. Schnappschüsse des Lebens. Glückliche oder besondere Momente, und man muss sich regelrecht dafür entscheiden, sie festzuhalten. Man muss sie planen. Weil einem die Momente ausgehen. Immer gehen einem die Momente aus.«
»Was redest du da?«, sagte Matt, aber nun beugte ich mich doch vor, denn ich begriff, was Dev da sagte.
Genau so fühlte ich mich in letzter Zeit. Als gingen mir die Momente aus.
»Du hast zwölf Bilder«, sagte er. »Zwölf Momente, die du einfangen kannst. Sie sind begrenzt. Und jedes Mal, wenn du einen in dieser kleinen Box einfängst, bleibt einer weniger übrig. Wenn du dann beim letzten angekommen bist, solltest du dir besser sicher sein, dass dieser Moment besonders ist, denn was wäre, wenn dann noch einer käme und du ihn ziehen lassen müsstest?«
Wie schrecklich, dachte ich, einen Moment ziehen lassen zu müssen.
»Mit einer Einwegkamera möchte man seine kleine Geschichte abschließen. Mit einem Ende enden. Oder einem neuen Anfang. Oder Auslassungspunkten, die einen ins nächste Kapitel führen …«
Das war der Moment, in dem Devs Theorie für mich ein wenig ins Wanken geriet.
»Moment mal. Auf diesem letzten Bild war ich .«
Doch Dev lächelte nur.
»Das ist es ja gerade«, sagte er. »Du bist schon Teil ihrer Geschichte. Jetzt bekommst du Gelegenheit, sie zu einem Teil von deiner zu machen.«
Und er langte in seine Tasche und schob die neue, blaue Einwegkamera über den Tisch.
Ich sah sie an.
Ich nahm sie und steckte sie ein.
Und als wir dort saßen und noch etwas tranken und die Aufregung wuchs, während wir auf neue Hinweise der bisher ungesehenen Hintergründe oder Vordergründe oder geknickten oder gerissenen Ecken stießen, fragte ich mich, ob ich es ihnen sagen sollte. Ihnen sagen, was ich heute schon gemacht hatte. Dass ich – so inspirierend dieser Moment auch sein mochte – mir bereits einen eigenen kleinen Moment erschaffen hatte.
Nach dem Flusskrebs-Wrap, nach Castle Defence und dem Twix hatte ich etwas getan, was ich ihnen zu erzählen vermieden habe, indem ich die langweilige Arbeit vorschob und ihnen versicherte, es sei nicht von Interesse.
Denn ich hatte heute schon etwas unternommen, das mich diesem Mädchen einen Schritt näher bringen würde.
zehn
Oder: › › She’s Pretty ‹ ‹
Donnerstag, acht Uhr morgens.
Ich saß im 91 er nach King’s Cross mit einem flauen Gefühl der Vorfreude im Bauch.
Seit ich mich entschlossen hatte, es zu tun – aus dem Wasser zu kriechen und zu versuchen, diesen Moment einzufangen, bevor er endgültig verblasste, und mein innerer Fisch zu werden –, fühlte ich mich damit erschreckend wohl. Mir schien, dass ich es verdient hatte. Man konnte nie wissen – vielleicht brachte es mich weiter. Dev hatte vom Schicksal gesprochen. Früher habe ich auch an das Schicksal geglaubt. Bis mir das Schicksal ein Bein gestellt und mich in Devs Wohnung gestoßen hatte. Dass es mein Schicksal sein sollte, mit einem Mann die Wohnung zu teilen, der dauernd vom Schicksal redete, schien mir doch allzu grausam.
Ich blickte auf und sah die gelbbejackten Männer und Frauen, die draußen vor dem Bahnhof standen und mit den Füßen trampelten, um sich aufzuwärmen, und versuchten, so viele kostenlose London-Now -Exemplare wie möglich zu verteilen, bis das Gedränge vorbei war.
Also nahm ich mein kostenloses Exemplar von London Now und bedankte mich übertrieben bei dem Mann, der es mir gab, weil ich dachte, er würde sich vielleicht darüber freuen, doch er war schon beim Nächsten, also zog ich den Kopf ein und marschierte in die Schalterhalle, dann in den Londoner Untergrund, weit unter allem und jedem und dem Rest der Welt, wo ich meine Zeitung lesen konnte, ohne dass einer wusste, wer ich war.
Im hintersten Waggon einer schüttelnden, rüttelnden Bahn gen Norden schlug ich sie auf und blätterte zur Seite achtunddreißig . Die Seite, die man kurz vor dem Ende der durchschnittlich zwanzig Minuten liest.
Die »Wo bist du?«-Rubrik.
Clem war wegen einer Rippenfellentzündung ein paar Tage nicht im Büro gewesen, und ich hatte seinen Computer benutzt. Ich hatte mich beeilen müssen. Es musste passieren, während Sam draußen eine rauchen war, aber ich hatte es geschafft. Mein eigener, kleiner Moment der Betriebsamkeit. Etwas, das mir das Gefühl geben sollte, nun, ich hatte es versucht, und selbst wenn die Geschichte hier und heute endete, hey, dann hatte ich es wenigstens
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