Auf den Flügeln des Adlers
erlangen.«
»Wer ist diese Person, Colonel?«
»Alles zu seiner Zeit«, gab Godfrey zurück. »Geben Sie mir zuerst Ihr Wort, dass Sie das Angebot annehmen, das ich Ihnen im Namen meines Freundes unterbreite.«
»Sie wissen verdammt gut, dass ich mit oder ohne Geld nach meinem Sohn suchen würde.«
»In diesem Fall treffe ich Sie morgen Abend um sieben am Haupteingang der Central Station. Von dort fahren wir in meiner Kutsche zu meinem Bekannten und erörtern die Angelegenheit.«
»Und vorher wollen Sie mir nicht verraten, wer Ihr Freund ist?«, fragte Michael gereizt.
»Alles zu seiner Zeit«, wiederholte Godfrey. »Es tut mir Leid, dass Sie auf diese Weise vom Schicksal Ihres Sohnes erfahren mussten, Mister Duffy. Ich weiß, dass Sie keinen Kontakt zu ihm hatten, aber ich bin davon überzeugt, dass er für Sie Ihr Sohn ist und bleibt.« Mit leerem Blick starrte Michael auf den Marmorboden, während sich der Colonel steif erhob und sich umsah. »Sie werden Zeit zum Nachdenken brauchen«, meinte er sanft. »Sagen Sie Mister Wong, seine Anwesenheit in Sydney ist nicht länger erforderlich. Wenn ich mich nicht irre, hat er in Queensland Familie und ein florierendes Geschäft, da wird er sicher gern nach Hause zurückkehren.«
Er nahm den Regenschirm von seinem Arm und stocherte geistesabwesend mit der Metallspitze auf dem Marmorboden herum. »Sie können sich glücklich schätzen, dass Mister Wong Ihnen so treu ergeben ist«, setzte er hinzu, während er sich zum Gehen wandte. »Ich glaube, er würde Ihnen in die Hölle folgen, wenn Sie ihn darum bitten würden.«
»Wir waren gemeinsam in der Hölle, Colonel«, sagte Michael ruhig. »Ich würde ihn nie bitten, mich wieder dorthin zu begleiten. Das ist ein Ort, an den ich allein gehen muss.«
»Ja, da haben Sie wohl Recht«, sagte Godfrey mitfühlend. Er räusperte sich. »Auf Wiedersehen, Mister Duffy.«
Während Michael dem Colonel nachsah, fragte er sich, wer an Patricks Schicksal interessiert sein mochte. Wer kannte seine, Michaels, wahre Identität? Und woher? »Granville White«, stieß er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. War Granville White der »liebe Freund«? Durchaus vorstellbar, dass White Kontakte zu den Kasernen der Victoria Barracks hatte. Wenn es so war, befand Michael sich in großer Gefahr. Warteten die Greifer schon auf ihn? Wollte Granville White vollenden, was ihm vor über zwanzig Jahren misslungen war, als er ihm gedungene Mörder auf den Hals gehetzt hatte?
Tiefes Misstrauen gegen alles und jeden war in dieser Welt von Verrat und Täuschung unausweichlich. Hier, mitten im Feindesland, konnte er sich nur auf seinen alten Waffengefährten John Wong verlassen. War es Zufall, dass der Colonel erklärt hatte, Johns Dienste seien nicht mehr erforderlich?
Michael fühlte sich wie in einem Tal, das zu beiden Seiten von Bergen gesäumt war, die sich in der Hand seiner Feinde befanden. Doch am Ende des Tals sah er Fiona, die ihn traurig anlächelte. Er fühlte, dass sie sich ebenso danach sehnte, über das Schicksal ihres Sohnes zu sprechen, wie er. Aber bei dem Gedanken an das Treffen mit dem Colonel morgen verblich Fionas Bild. Ging er dem durch und durch rücksichtslosen Mann in die Falle, dem er einst Rache geschworen hatte?
»Du verlässt die Stadt morgen, John«, teilte Michael dem Eurasier mit, der ihm in dem schäbigen Büro gegenübersaß, das sie als Tarnung für ihre Operation gegen von Fellmann benutzt hatten. Nicht dass das Büro einer sorgfältigen Überprüfung durch jemand, der mit dem Import- und Exportgeschäft vertraut war, standgehalten hätte: Nirgendwo waren jene Unterlagen zu sehen, ohne die ein Handel nicht möglich war – keine Geschäftsbücher auf dem nackten Schreibtisch und in den leeren Regalen, keine Jahrbücher mit Schifffahrtsrouten. Nur auf dem gemalten Schild an der Fassade des winzigen Büros prangten Name und Beruf des »Inhabers«: John Wong – Importeur für fernöstliche Waren.
John rutschte auf seinem Drehstuhl hin und her und beugte sich vor. »Falls sich dein Verdacht, dass Granville White hinter der Sache steckt, erhärtet, und du morgen ohne Rückendeckung zur Central Station gehst, könnte dich das dein Leben kosten«, schimpfte er. »Du brauchst mich, Michael.«
»Nicht mehr, alter Freund«, erklärte Michael betrübt. »Du hast Frau und Kinder, an die du denken musst. Es war dumm von mir, dich überhaupt für diesen Auftrag zu rekrutieren. Ich habe deine Loyalität
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