Auf den Flügeln des Adlers
an einem solch öffentlichen Ort erscheinen würde. Außerdem war kaum anzunehmen, dass er die Dreckarbeit selbst erledigen würde. Nein, vermutlich würde man ihn an einen einsamen Ort bringen, wo Granvilles Leute auf ihn warteten. Aber Michael hatte beschlossen, den Colonel trotzdem zu begleiten. Vielleicht kam er ja so an Granville heran. Wie, das wusste er allerdings noch nicht.
Zumindest war er diesmal gewarnt und wenigstens teilweise vorbereitet, ganz im Gegensatz zu damals in The Rocks, als ihn der hinterhältige Verbrecher Jack Horton und dessen nicht weniger gefährlicher Halbbruder überfallen hatten. Beide waren von Granville angeheuert worden, damit sie Michael für ihn erledigten.
Godfrey, der in der Menge der Passagiere auf ihn zukam, winkte mit dem zusammengeklappten Regenschirm. Wie eine lauernde Katze glitt Michael auf ihn zu. Dem Colonel fiel die angespannte Haltung des Iren sofort auf; der Mann bewegte sich mit der Anmut eines Raubtiers, das zum Sprung ansetzte, und hielt die rechte Hand dicht an der Seite. Er hat eine Waffe, dachte Godfrey, leicht amüsiert, weil Michael ihm nicht traute.
»Die Kutsche, die uns zu unserem Treffpunkt bringt, steht draußen«, sagte er, als Michael nah genug war. Michael nickte und folgte ihm.
Bei der Kutsche handelte es sich um ein exquisites Exemplar teurer Handwerkskunst, das von vier hervorragend dressierten Grauschimmeln gezogen wurde. Ein gut gekleideter Kutscher saß mit einer langen Reitpeitsche in der Hand auf dem Bock. Michael stieg in die offene Kutsche, wo er sich Godfrey gegenüber niederließ, der mit dem Rücken gegen die Fahrtrichtung saß. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und das Gespann setzte sich in Bewegung.
Nach einer halben Stunde Fahrt war es dunkel geworden. Sie hatten die Gaslaternen des städtischen Sydney hinter sich gelassen und befanden sich auf einer relativ ebenen, unbefestigten Straße, die, wie Michael wusste, zur südlichen Landspitze des Hafens von Sydney führte. Geschäfte und Straßen waren Buschland gewichen, aus dem immer wieder die verstreuten Villen des Adels und der reichen Kaufleute der Kolonie auftauchten.
Keiner der Männer sprach während der Fahrt. Selbst in der Dunkelheit fiel Godfrey auf, dass Michaels Hand sich nie weit von seiner Hosentasche entfernte. »Besitzen Sie eines dieser gefetteten Lederholster, Mister Duffy?«, fragte er. Michael blickte ihn leicht überrascht an.
»Ja, Colonel«, antwortete er. Wozu sollte er lügen?
Stirnrunzelnd starrte der Colonel über Michaels Schulter in die Dunkelheit hinaus. »Und wer ist die Person, die uns offenkundig in einer Droschke folgt, wenn ich fragen darf?«
Hatte Michael zuvor etwas überrascht gewirkt, so war er nun völlig verwirrt. »Ich dachte, Sie kennen die Antwort darauf, Colonel«, stellte er leise fest. »Bestimmt einer von Mister Whites Männern.«
»Das will ich nicht hoffen!«, erwiderte der Colonel. Für einen Augenblick wusste Michael nicht, woran er war. Wenn sie von Whites Leuten verfolgt wurden, warum hatte der Colonel das dann erwähnt?
»Wohin fahren wir?«, fragte er. Godfrey sah sich um, bevor er antwortete. »Nirgendwohin, Mister Duffy, wir sind nämlich bereits da.«
In der Dunkelheit entdeckte der Ire ein riesiges Haus mit einer prächtigen, von alten Bäumen gesäumten Auffahrt. Er wusste sofort, wo er war.
»Ich glaube nicht, dass Sie Ihre Waffe hier brauchen werden, Mister Duffy«, meinte der Colonel beiläufig. Er lächelte über Michaels Verwirrung. »So gefährlich ist Lady Enid auch wieder nicht.«
Verlegen erwiderte Michael das Lächeln. »Das werden wir sehen. Nach dem, was ich über sie gehört habe …«
Der Colonel lachte leise. »Nun, Sie könnten natürlich Recht haben, Mister Duffy.«
Die Droschke, die ihnen gefolgt war, hielt knapp außer Sichtweite an, als Michael und der Colonel das kunstvoll geschmiedete Eisentor passierten.
Über die Schulter sah sich Michael nach den Lichtern der Droschke um, die in der Dunkelheit wie Stecknadelköpfe leuchteten. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf. Inzwischen hatte er eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wer ihnen gefolgt war.
Enids Unnachgiebigkeit, was eine gemeinsame Zukunft ihrer Tochter mit Michael anging, hatte dessen Leben zwar unwiderruflich geprägt, aber er war ihr noch nie persönlich begegnet. Trotzdem hatte er das Gefühl, viel über die Matriarchin der Familie Macintosh zu wissen. Doch ihr Anblick überraschte ihn. Sie wirkte zerbrechlich,
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