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Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watt
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Sydney ist es ein langer Fußmarsch.«
    John Wong hatte die Droschke warten lassen, obwohl das ein kostspieliges Vergnügen gewesen war. Michael stieß in den Schatten der geschwungenen Auffahrt auf ihn und begrüßte ihn mit einer freundschaftlichen Zurechtweisung. »Dachte, du hättest auf das Leben deiner Familie und die Ehre deiner Ahnen geschworen, dass du nach Townsville zurückkehrst?«
    Grinsend klopfte John ihm auf den Rücken. »Ich habe aber nicht gesagt, wann.«
    »Nein, wenn ich es mir recht überlege, hast du das nicht getan.«
    »Und wann fährst du mit mir nach Townsville zurück?«
    »Zuerst muss ich mich mit Horace treffen und ein paar Angelegenheiten hier in Sydney regeln«, erwiderte Michael, während die beiden auf dem laut knirschenden Kies die Einfahrt hinuntergingen. »Dann muss ich meinen Sohn finden. Erst wenn das alles erledigt ist, kann ich nach Townsville zurück.«
     
    Enid wünschte Godfrey eine gute Nacht und stieg die Treppe zu ihrer Bibliothek hinauf. Dort setzte sie sich an ihren Schreibtisch und holte aus einer Schublade ein kunstvoll verziertes, ledergebundenes Tagebuch heraus, in das sie wichtige Ereignisse eintrug. Geburten, Todesfälle und Hochzeiten waren darin nicht verzeichnet, denn die hielt sie mit ihrer gestochen scharfen Schrift in der großen Familienbibel fest. Dieses Buch war der dunklen Seite ihres Leben gewidmet: Geschäftsbesprechungen, die über das Wohlergehen der Familienunternehmen entschieden, Informationen ihrer Kontaktleute über sich ergebende geschäftliche Chancen, Gelder, mit denen von Zeit zu Zeit die Räder der Regierung geschmiert wurden.
    In dieser letzten Rubrik fand Enid einen Eintrag über die Zahlung von einhundert Guineen in bar an einen Kriminalbeamten namens Kingsley. Das war 1874 gewesen. Damals war Kingsley mit Informationen zu ihr gekommen, die er von einem sterbenden Verbrecher namens Jack Horton erhalten hatte. Bevor er das Zeitliche segnete, hatte Horton alles verraten, was er über die mörderische Verbindung zwischen Kapitän Morrison Mort und ihrem Schwiegersohn, Granville White, wusste.
    Hortons Ehrlichkeit entsprang einzig und allein dem Wunsch, sich an dem Kapitän zu rächen, der ihn in Zeiten größter Not im Stich gelassen hatte. Während er an einer Bauchwunde verblutete, hatte Jack Horton dem Polizeibeamten auch erzählt, dass Granville ihn angeheuert habe, um einen gewissen Michael Duffy zu töten. Dabei habe Duffy Hortons Halbbruder, ebenfalls ein Verbrecher, in Notwehr getötet.
    Als Enid diese Informationen erhalten hatte, interessierte sie sich nicht weiter für das Geständnis des Verbrechers. Michael Duffy war angeblich Jahre zuvor im Neuseeland-Feldzug gegen die Maori getötet worden. Und selbst wenn sie gewusst hätte, dass er noch lebte, war es zweifelhaft, ob sie ihm die Informationen zur Verfügung gestellt hätte, mit denen er seine Unschuld beweisen konnte.
    Enid starrte auf die sorgfältig zusammengetragenen Notizen, die sie direkt nach ihrem Gespräch mit dem Kriminalbeamten eingetragen hatte. Uhrzeit, Datum und Namen waren unauslöschlich auf den Seiten ihres Tagebuchs festgehalten.
    Sie schloss das Buch und ging zum Fenster der Bibliothek, von dem aus sie die Einfahrt überblicken konnte. Sollte sie preisgeben, was sie durch Jack Hortons Geständnis erfahren hatte? Lag es in ihrem Interesse, Michael Duffy reinzuwaschen?
    Dass Michael noch lebte, könnte ihren Enkel von seiner Entscheidung abbringen, sich von seiner irischen Abstammung loszusagen und sich voll und ganz für sein angloschottisches Blut zu entscheiden. Möglicherweise würde sein Vater ihn dazu überreden, seine papistische Religion zu behalten? Und dass ein Papist das Vermögen der Macintoshs kontrollierte, war undenkbar, selbst wenn es sich um ihren geliebten Enkel handelte! Nein, es war besser, wenn Michael Duffy in der Kolonie ein Gejagter blieb. Das würde seinen Kontakt zu Patrick in engen Grenzen halten.
    Enid dachte, sie hätte sich ein für alle Mal dafür entschieden ihr Wissen über Michaels Unschuld für sich zu behalten. Doch Zweifel und Gewissensbisse nagten an ihr. Und wenn Patrick nun herausfand, was sie wusste? Ein Schauer der Furcht überlief sie, als sie sich an ihren Schreibtisch setzte und geistesabwesend die Hand auf den Einband des Tagebuchs legte. Nein, das durfte nicht geschehen! Die Auswirkungen wären zu entsetzlich, als dass sie daran hätte denken mögen. Im Augenblick wollte sie nur die merkwürdige Zuversicht

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