Auf den Flügeln des Adlers
Bis Sie heute Abend an Bord des Postschiffs gehen, wird die Eskorte Sie begleiten. Ansonsten steht Ihnen die Stadt mit Ihren Freuden offen.«
»Unter den gegebenen Umständen kein schlechtes Angebot«, knurrte Michael, während er auf die offene Tür zuging. Dort erwarteten ihn bereits zwei bullige Sergeants. »Dann wünsche ich Ihnen einen guten Tag, Captain French.«
Die beiden Unteroffiziere passten sich Michaels Schrittlänge an, sodass alle drei auf gleicher Höhe gingen. Gemeinsam überquerten sie eine Galerie, von der aus man auf einen weitläufigen, mit Marmor ausgekleideten Raum blickte. Das Verhalten der Soldaten ließ eindeutig erkennen, dass sie nicht die Absicht hatten, ihrem »Gefangenen« mehr als einen Schritt Spielraum zu lassen, bis sie ihn an Bord eines Schiffes verfrachtet hatten.
Auf der belebten Straße wimmelte es nur so von Straßenkindern, die den ausländischen Besucher anbettelten, und Händlern in Kaftanen, die auf ein gutes Geschäft hofften. Michael wandte sich an seine Wachen. »Wie war’s, wenn ich Sie beide auf ein Gläschen einlade, bevor ich an Bord gehe?«
Die beiden blickten einander fragend an. »Das wäre gegen unsere Befehle, Sir«, meinte der Größere, dessen irischer Akzent unverkennbar war, schließlich. »Im Dienst dürfen wir nicht trinken.« Dann grinste er. »Aber Captain French hat uns angewiesen, gastfreundlich zu sein, und da können wir es Ihnen kaum abschlagen, wenn Sie in unserer Gesellschaft ein oder zwei Gläschen leeren wollten.«
»Kennen Sie einen Ort, an dem man ungestört etwas trinken könnte, Sergeant?«
»Wenn Sie mich so fragen, fällt mir tatsächlich ein Lokal im griechischen Viertel ein.« Der irische Sergeant fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und grinste breit. »Aber kommen Sie nicht auf den Gedanken, uns besoffen zu machen und abzuhauen, Mister Duffy. Ich und Sergeant O’Day hier, wir haben unsere Befehle.«
»Sehe ich etwa aus wie jemand, der auch nur daran denken würde, einen Iren im Dienst Ihrer Majestät zu bestechen?« Michael bemühte sich, den beiden Honig ums Maul zu schmieren. »Doch nicht zwei exzellente Unteroffiziere wie Sie beide!«
Der bullige irische Sergeant lachte, während sie sich ihren Weg durch den Basar bahnten. »Allerdings, genau so sehen Sie mir aus, Mister Duffy«, meinte er, wobei er Michael direkt ins Auge blickte.
Offenbar wusste der massige Sergeant, was seine Pflicht war. Michael gab jeden Gedanken daran auf, den beiden zu entwischen. Nicht dass er es ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. Seine Mission war so oder so beendet. Sein Sohn lebte, und folglich musste er ihn auch nicht mehr finden, zumindest nicht im Sinne des Auftrags, den Lady Macintosh ihm erteilt hatte. Der Betrag, den sie ihm für die Spesen angewiesen hatte, war so großzügig bemessen, dass er damit nach Europa reisen konnte. Dort würde es ihm hoffentlich gelingen, seinen Lebensunterhalt als Maler zu verdienen. Er hatte in der Vergangenheit genug angespart, um ein oder zwei Jahre lang zu überleben. Er spürte, dass es ihm nicht bestimmt war, seinem Sohn zu diesem Zeitpunkt zu begegnen. Das Rad des Schicksals würde sich weiterdrehen, bis das Leben sie beide zusammenführte.
»Und wo ist dieses Lokal, Sergeant?«, erkundigte Michael sich. Der irische Soldat führte sie tief in das griechische Viertel zu einer Kneipe, die er aufsuchte, wenn ihm der Sinn nach Wein, Weib und sehnsuchtsvollen Liedern stand.
Als Michael an jenem Abend an Bord des auslaufenden Küstenschiffes gebracht wurde, bestand die einzige Erinnerung, die er an die historische, exotische Stadt Suakin mitnahm, in einem kräftigen Kater, der auf den übermäßigen Genuss von billigem griechischem Wein zurückzuführen war. Vor ihm lag Europa mit seiner alten Geschichte. Vom Krieg wollte er nichts mehr hören und sehen, er betete, dass er in Zukunft die Schönheit der Schöpfung genießen und in seinem Geist in Farbe umsetzen konnte. Das Schicksal – und Lady Macintosh – hatten ihn daran gehindert, seinen Sohn zu sehen, doch Michael hatte gelernt, die Vorherbestimmung als treibende Kraft in seinem Leben zu akzeptieren. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde die Vorsehung ihn und seinen Sohn zusammenführen, davon war er überzeugt.
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Niedergeschlagen stand Gordon James am Fuß der Stufen, die zu Kate Tracys Veranda führten, und einen Augenblick lang fühlte sie beim Anblick des jungen Polizeioffiziers Mitleid in sich aufsteigen, so verloren wirkte
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