Auf den Flügeln des Adlers
Daniel?, fragte er sich mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. Sein Onkel hatte sich geweigert, ihn zu sehen, weil er seinen katholischen Glauben aufgegeben hatte. Würde sie als Schwester seines Vaters mehr Verständnis dafür haben, dass er die protestantische Religion seiner Großmutter mütterlicherseits angenommen hatte? In wenigen Minuten würde er es wissen. Aus dem Vorzimmer drangen gedämpfte Stimmen an sein Ohr. Dann steckte George Hobbs den Kopf zur Tür herein. »Missus Tracy für Sie, Sir.«
»Bitten Sie sie herein, Mister Hobbs.«
Der erste Eindruck, den Patrick von seiner berühmten Tante hatte, war, dass sie überhaupt nicht seinem Bild von einer strengen Geschäftsfrau entsprach. Sie war ausgesprochen schön. Die großen grauen Augen blickten sanft und sprachen von einer unendlichen Liebesfähigkeit. Das lange, dunkle Haar, das sie zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt hatte, war zwar von grauen Strähnen durchzogen, aber weich und üppig. Als sie durch den Raum schritt, um ihren Neffen zu begrüßen, raschelte der Satinstoff ihres langen grünen Kleides.
Patrick nahm ihre ausgestreckte Hand und fühlte ihren festen Händedruck. »Tante Kate, es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, dich nach all diesen Jahren kennen zu lernen«, sagte er eindringlich, aber ohne Übertreibung. »Du musst die schönste Duffy in allen Kolonien dieser Welt sein – von Irland ganz zu schweigen.«
Ihr amüsiertes Lachen klang glockenhell. »Patrick Duffy, du bist genauso ein Lügner wie dein Vater«, erwiderte sie mit einem breiten Lächeln. »Keine Ahnung, wieso ihr Duffy-Männer solche Schönredner seid, wo ihr doch alle in den Kolonien und nicht im guten alten Irland geboren seid. Aber ein bisschen Schmeichelei schadet nichts! Da fühlt man sich als alte Frau gleich um Jahre jünger.«
»Alt!«, schalt Patrick. »Du würdest in allen Schlössern Europas als Zierde gelten, und die Männer würden sich um deines Lächelns willen duellieren.«
»Wenn es nur so wäre«, seufzte sie, als er ihre Hand losließ und sie einlud, auf einem der bequemen Ledersessel Platz zu nehmen. »Vielleicht änderst du deine Meinung, wenn du hörst, worüber ich mit dir sprechen will.«
»Dann bist du vermutlich wegen eines möglichen Verkaufs von Glen View hier«, erwiderte er grimmig. »Trotzdem, du bist und bleibst für mich die Schönste aller Duffys, egal, wie unser Gespräch verläuft und was dabei herauskommt.«
Kate, die die Hände im Schoß gefaltet hielt, lächelte ihn an. »Ich hoffe, daran ändert sich nichts, Patrick. Ich hatte immer vor, dich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit kennen zu lernen. Vielleicht sollten wir erst reinen Tisch machen, bevor wir uns angenehmeren Dingen zuwenden. Verkaufst du mir Glen View? Balaclava Station, der angrenzende Besitz, gehört bereits mir. Aus geschäftlichen Gründen bin ich daran interessiert, beide Anwesen zusammenzulegen.«
Überrascht durch diese direkte Frage richtete Patrick sich gerade auf. »Wenn es in meiner Macht stünde, würde ich dein Angebot vielleicht in Erwägung ziehen, aber Glen View gehört Granville White allein. Mein Großvater hat den Besitz meiner Mutter hinterlassen. Als sie ihr Erbe ihrem Mann übertrug, ging auch Glen View automatisch an ihn über.«
»Und du hast bei dem Verkauf gar nichts zu sagen?«
»Leider nein. Lady Macintosh ist wütend, weil er Glen View überhaupt zum Verkauf anbietet. Wie du weißt, liegen mein Großvater und mein Onkel dort begraben. Schon aus diesem Grund ist es für die Familie Macintosh wichtig, den Besitz zu behalten.«
»Deine beiden Großväter sind auf Glen View begraben«, erinnerte Kate ihn sanft. »Und erst vor kurzem hat dein Cousin Peter dort seine letzte Ruhestätte gefunden.«
»Da hast du Recht«, gab er zu. »Meine beiden Großväter und mein Cousin Peter, den ich leider nie kennen gelernt habe, liegen dort. Ich habe in der Zeitung von seinem tragischen Tod gelesen. Onkel Daniel hat mich nicht einmal aus Höflichkeit informiert«, setzte er bitter hinzu.
»Du kannst es deinem Onkel nicht verübeln, dass er nicht mit dir spricht, Patrick«, verteidigte Kate ihren Cousin. »Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich ein Duffy von seiner Familie lossagt.«
»Und warum redest du dann mit mir?«, fragte er voller Bitterkeit. »Geht es nur um Glen View?«
»Nein, Patrick«, erwiderte sie sanft. »Ich bin anderer Meinung als dein Onkel Daniel. In meiner Familie habe ich schon immer als
Weitere Kostenlose Bücher