Auf den Flügeln des Adlers
musste Missus Rankin eingehend informiert haben. Kein Wunder, dass sie so feindselig ist, dachte Gordon trübsinnig.
Dann klappte Missus Rankin ihren Verbandskasten zu und marschierte ohne weitere Umschweife auf das Haus zu. Sarah dagegen blieb noch für einen kurzen Augenblick stehen.
»Sarah«, sagte Gordon mit gepresster Stimme. Er wusste, dass es an ihm war, das Schweigen zwischen ihnen beiden zu brechen. »Kann ich einen Augenblick mit dir sprechen?«
»Gordon, ich …«, erwiderte Sarah leise. »Ich glaube nicht, dass wir etwas zu bereden haben.« Sie drehte sich um und blickte zum Haus. »Ich sehe wohl besser nach, ob Adele meine Hilfe braucht.«
»Bitte«, flehte Gordon. Er nahm ihren Arm, wobei er sich der neugierigen Blicke seiner Polizisten bewusst war, die ihren Vorgesetzten und das hübsche Mischlingsmädchen anstarrten. »Gib mir nur ein paar Minuten … aber nicht hier.« Mit dem Kopf wies er auf seine Truppe. Gleichzeitig schob er sie in den Schatten eines großen Gummibaumes am Ende des Gartens.
Sarah wehrte sich nicht. Sie sah ihm in die Augen, ohne den Blick abzuwenden. »Ich habe die Stellung als Gouvernante bei Missus Rankin angenommen, weil ich weit weg sein wollte von all den bitteren Erinnerungen, für die du verantwortlich bist. Tante Kate hat vorgeschlagen, ich soll hier eine Arbeit annehmen. Sie dachte, mich um andere zu kümmern würde mir helfen, darüber hinwegzukommen, dass du meinen Bruder umgebracht hast.«
»Ich wollte Peter nicht töten, das musst du doch wissen«, erwiderte Gordon verzweifelt. »Ich habe ihn geliebt wie meinen eigenen Bruder, aber an jenem Tag sind die Ereignisse außer Kontrolle geraten. Ich schwöre dir, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich liebend gern an Peters Stelle sterben.«
Sarah spürte seinen harten Griff um ihren Arm und sah den Schmerz in seinen Augen. »Was soll das heißen? Keiner von euch hätte sterben müssen, wenn du nicht bei der berittenen Eingeborenenpolizei geblieben wärst.«
»Es musste eines Tages geschehen.« Gordons Augen flehten um Verständnis. »Peter hat mir schon vor Jahren erzählt, was die Geister der Vorfahren Wallarie enthüllt hatten. Er und ich konnten in diesem Leben keine Freunde sein, weil sich mein Vater an Wallaries Volk versündigt hat, als wir beide noch gar nicht geboren waren. Es war uns vorherbestimmt, dass einer den anderen töten muss.«
Für einen Augenblick hätte sich Sarah am liebsten losgerissen und verächtlich über diese Erklärung gelacht, doch sie spürte die Intensität seiner Worte. Hatte Tante Kate nicht immer gesagt, jenseits der Welt des Lichtes gebe es Dinge, die für Sterbliche unerklärlich blieben? Die braven Nonnen, die sie im Katechismus unterrichtet hatten, hatten ihr auch von den mystischen Elementen der Religion erzählt. Warum sollte sie die Überzeugungen des Volkes ihrer Mutter nicht ebenso akzeptieren? Waren sie nicht älter als der christliche Glaube der Weißen? »Meinst du das ernst? Glaubst du tatsächlich an die Macht der Geister meiner eingeborenen Vorfahren?«
»Ja, Sarah, das tue ich«, erwiderte Gordon traurig. »Ich weiß nicht, warum, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sich dieses Land von allen anderen unterscheidet. Es besitzt eine eigenartige Macht, von der nur die Schwarzen wissen.«
»Und nun hast du sie ebenfalls erfahren.« Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich würde dir so gern vergeben, Gordon James. Es hätte mir gut getan zu wissen, dass du verstehst, dass ich im Land des Volkes meiner Mutter verwurzelt bin. Ich könnte deinen Kummer um die dunklen Dinge in unserem Leben annehmen, wenn du akzeptieren könntest, dass ich zwischen zwei Welten stehe.«
»Sarah, ich habe dich immer geliebt«, erklärte er mit gepresster Stimme. »Aber ich war ein Narr und habe meinen Ehrgeiz über meine Gefühle siegen lassen. Alles, was ich dir an dem Abend, bevor ich auf die Suche nach Peter ging, gesagt habe, war ehrlich gemeint. Was danach geschehen ist, konnte ich nicht mehr verhindern.«
Sarahs tränenüberströmtes Gesicht bekam einen weichen Ausdruck. »Das ist nicht mehr wichtig«, sagte sie bitter. »Du und ich, wir können niemals … selbst wenn wir wollten.«
»Warum können wir nicht zusammen sein?«, fragte Gordon verwirrt. »Ich liebe dich mehr, als ich jemals zuvor geliebt habe.«
»Weil ich mit einem anderen verlobt bin und in einem Monat heirate«, schluchzte sie. Damit riss sie sich los und rannte ins Haus.
Wie vor den Kopf
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