Auf den Flügeln des Adlers
wegmusste. Aber sie wusste auch, dass die Geister ihrer Eltern immer zwischen ihnen stehen würden, solange der Mann, den sie liebte, für jene Polizeiabteilung arbeitete, die die beiden getötet hatte. Sie ließ ihre Hände aus den seinen gleiten und kehrte ihm den Rücken zu. »Bitte sei vorsichtig«, flehte sie mit erstickter Stimme, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Mehr kann ich dir nicht sagen.«
Aufgewühlt von diesem Abschied blickte Gordon ihr nach.
»Sarah«, rief er, doch sie antwortete nicht, sondern schloss die Tür hinter sich, um auf ihr Zimmer zu gehen. Von dort würde sie ihm nachsehen, wie er davonritt und aus ihrem Leben verschwand.
Als Kate ihre Nichte die Treppe hinauflaufen sah, erriet sie, wie der Abschied der beiden verlaufen war. Sie hörte Gordon das Haus verlassen. Am Fuß der Treppe stehend, lauschte sie auf die erstickten Schluchzer, die durch das Haus hallten. Sie seufzte und begann, die Treppe zu Sarahs Zimmer hinaufzusteigen. Warum war Liebe immer so schwierig? Würde es Sarah ebenso schwer fallen, Liebe zu finden, wie ihr?
Später an jenem Tag erfüllte Kate das Versprechen, das sie Gordon gegeben hatte.
Emma, die allein in einem bescheidenen Häuschen am Stadtrand lebte, begrüßte Kate mit Freudenrufen und Umarmungen. Je größer Kates Unternehmen geworden war, desto weniger Zeit hatte sie für ihre Freundin, für Besuche und Gespräche gehabt. Als sie sich nun aus Emmas Umarmung löste, entdeckte sie mit Besorgnis dunkle Ringe unter deren Augen. Das einst feuerrote Haar war grau geworden. Emma wurde alt, aber das erinnerte Kate umso mehr daran, dass sie eine gemeinsame Vergangenheit besaßen.
»Du musst unbedingt mit mir zu Abend essen«, sagte Emma. »Ich bestehe darauf.«
»Das würde ich gern, aber ich muss vor der Dunkelheit zu Hause sein. Ich wollte nur wissen, wie es dir geht, jetzt, wo Gordon weg ist.«
Mit einem betrübten Lächeln wandte Emma sich ab, um Kate in ihre winzige Küche zu führen. »Eigentlich sollte ich dich fragen, wie es dir geht. Deine Zeit muss nah sein.«
Unwillkürlich legte Kate die Hand auf ihren runden Bauch. »Ja, sehr nah, so wie der strampelt.«
»Du meinst also, es wird ein Junge«, stellte Emma fest, während sie heißes Wasser in eine Porzellankanne goss.
»Also, wenn es kein Junge wird, dann ein ziemlich kräftiges Mädchen.«
Emma lachte. Für einen Augenblick sah Kate das junge Mädchen in ihr, das sie fünfzehn Jahre zuvor kennen gelernt hatte: eine lebhafte, lebenslustige Frau, die gerade erst aus England gekommen war und Henry James geliebt, geheiratet und begraben hatte. Zumindest im Geiste begraben, denn seine Leiche war nie gefunden worden.
Beide Frauen waren eng befreundet gewesen, aber in den letzten Jahren hatte Peters Entscheidung, sich gemeinsam mit seinem Jugendfreund der Eingeborenenpolizei anzuschließen, einen Keil zwischen sie getrieben. Dass Emma Peter dabei unterstützte, hatte Kate verärgert. Sie fand Emmas Haltung kurzsichtig, weil sie nur Peters momentane Zufriedenheit im Auge hatte und für seine wirklichen Interessen blind war. Nachdem Peter in seiner Verbohrtheit zur Polizei gegangen war, besuchte Kate ihre Freundin immer seltener. Ein Vorwand war leicht zu finden, dennoch vermisste sie die angenehme Gesellschaft und das vertraute Gespräch, die ihre Beziehung ausgezeichnet hatten.
»Ich glaube, es war keine gute Idee, dass Peter Gordons Beispiel gefolgt ist«, erklärte Emma nun, während sie den Tee in die Tassen goss.
Überrascht starrte Kate ihre Freundin an. Hatte sie ihre Gedanken gelesen? »Das fand ich schon immer«, antwortete sie. Die Barriere, die sie voneinander getrennt hatte, begann zu bröckeln.
»Ich war blind, als ich Peter darin bestärkt hab, mit Gordon zur Polizei zu gehen. Mir war nicht klar, wie gefährlich das für ihn ist«, gab Emma zu. »Gordon hat mir erzählt, dass Peter das Massaker an Inspektor Potters Patrouille nur durch einen unglaublichen Glücksfall überlebte.«
»Es ist mehr als das«, sagte Kate ruhig. »Peter riskiert, seine Seele zu verlieren, wenn er bei der berittenen Polizei bleibt. Wie du weißt, hat diese Truppe achtundsechzig in Burkesland seine Eltern ermordet.«
Emma zuckte zusammen, und Kate entschloss sich, das Thema fallen zu lassen. Es würde nur neue Wunden aufreißen. Denn Emmas Mann war bei der Patrouille gewesen, die Jagd auf Peters Eltern gemacht hatte, und damit im Grunde für deren Tod mitverantwortlich. Kate warf Henry
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