Auf den Flügeln des Adlers
den Bergen.«
Unwillkürlich streckte Kate die Hand aus und berührte die alte Narbe in seinem Gesicht. Dort hatte ihn das Bajonett eines englischen Soldaten getroffen – eine ständige Erinnerung an den Aufstand der amerikanischen Bergleute bei den Palisaden von Eureka vor über dreißig Jahren. Mittlerweile hatte sie diesen Mann geheiratet, der sie immer geliebt hatte, auch als er einsam im Grenzland von Queensland nach Gold suchte. Der große, schweigsame Luke Tracy hatte seine Liebe zu Kate damals mitgenommen in die tropischen Regenwälder von Nord-Queensland, in die weiten, trockenen Buschsteppen des Westens und die uralten, wüstenhaften Berge Zentral-Queenslands. Mit vierundfünfzig Jahren war er ein Veteran des Aufstands bei den Palisaden, wo er mit der Brigade der California Rangers auf den Goldfeldern gegen die Rotröcke gekämpft hatte.
»Ich weiß«, erwiderte sie. Am liebsten hätte sie geweint bei dem Gedanken, dass er nach Westen ritt. Sein Ziel war eine kleine Grenzstadt, die nach dem unglückseligen Forscher und Entdecker Burke benannt war. »Hast du Ersatzmunition?«, vergewisserte sie sich.
Der hoch gewachsene Mann lächelte sie beruhigend an und strich ihr mit der schwieligen Hand über das Gesicht. »Keine Sorge wegen der Kalkadoon, ich reite weit nördlich von ihrem Gebiet.« Mit der Hand fuhr er über ihren geschwollenen Leib. »Ich mach mir viel mehr Sorgen wegen dir, Kate. Diesmal musst du auf dich aufpassen und das Geschäft Geschäft sein lassen. Dafür hast du schließlich Angestellte.«
Kate nickte, obwohl sie die Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. Bestimmt lag es an der Schwangerschaft, dass sie in letzter Zeit so leicht die Fassung verlor, sagte sie sich. Das Schreckgespenst der beiden Babys, die sie verloren hatte, verfolgte sie immer noch. Das erste Kind war ein Sohn gewesen, der Stunden nach der Geburt gestorben war und in Rockhampton begraben lag. Damals war sie siebzehn gewesen. Der Vater ihres Kindes war Kevin O’Keefe, ihr nichtsnutziger erster Ehemann, der sie am Abend vor der vorzeitigen Geburt ihres Sohnes verlassen hatte.
Aber Luke war da gewesen, und an seine starke Schulter hatte sie sich in den darauf folgenden Wochen und Monaten anlehnen können. Schon damals wusste sie, dass sie ihn liebte, aber sie hatte Angst vor der Liebe zu einem Mann, der immer auf der Suche nach Gold war. Der Amerikaner schien zu denen zu gehören, deren Schicksal es war, in der Einsamkeit des gottverlassenen Grenzlandes zu sterben. Sie wollte einen Mann, mit dem sie ihr Leben teilen konnte – nicht einen, von dem sie ständig Abschied nehmen musste.
Vor zehn Jahren hatte sie sich endlich eingestanden, dass sie ihn lieber dereinst verlieren wollte, als ihn überhaupt nicht in ihrem Leben zu haben. Damals hatte sie ihm in einem Bergarbeiterzelt außerhalb des Goldgräberhafens Cooktown einen Heiratsantrag gemacht.
Acht Monate nach ihrer offiziellen Eheschließung war ein Mädchen zur Welt gekommen, das jedoch mit sechs Monaten am Fieber starb. Ihr Grab war eines von vielen in Cooktown, wo auch Kevin O’Keefe, Kates erster Ehemann, begraben lag. Sein Tod allerdings war das unvermeidliche Resultat seines verbrecherischen Lebens gewesen.
Nach dem Tod ihrer Tochter hatte sich Kate in ihrem Kummer von aller Welt zurückgezogen. Aber Luke war bei ihr gewesen, und seine stille Kraft hatte ihr über ihre Selbstvorwürfe hinweggeholfen. Was hatte sie nur getan, um den Tod ihres Babys zu verschulden?, hatte sie sich immer wieder gefragt. Hätte sie ihn irgendwie verhindern können?
Luke hatte ihr versichert, dass es für den Tod im Grenzland nicht immer eine Erklärung gab und dass Selbstvorwürfe keinen Sinn hatten. Sein Pragmatismus entstammte eigenen Erfahrungen, denn er selbst hatte vor vielen Jahren durch das Fieber Frau und Kind verloren. Damals war er in seinem Kummer allein durch die Grenzgebiete von Queensland geritten und hatte sich unter dem weiten Sternenhimmel des Südens ganz ähnliche Fragen gestellt. Da er keine Antwort fand, kam er zu dem Schluss, dass die Trauer irgendwann ein Ende haben musste. Diesen simplen Pragmatismus konnte er schließlich auch an Kate weitergeben.
Jahre später trug sie nun wieder ein Kind von ihm. Sie spürte dass Gott diesmal gnädig sein und ihnen ein gesundes Baby schenken würde, das heranwachsen und alles erben würde, was sie sich so hart erarbeitet hatte.
»Ich weiß, dass Gott dich behüten wird, mein lieber Mann«, seufzte Kate, als
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