Auf den Flügeln des Adlers
hier ebenso gut wie Willie. Für das Vieh brauchen wir keine Schule. Du kannst uns alles beibringen, was wir wissen müssen.«
»Ihr braucht eine Ausbildung«, fuhr Ben ihn an. »Das hat sich eure Mutter so gewünscht. Sie wollte, dass ihr lesen und schreiben lernt. Diesen Wunsch muss ich ihr erfüllen.«
Diesen Wunsch muss ich ihr erfüllen, wiederholte Willie im Stillen. Den Wunsch, dass er sich an dem Mann rächte, der ihr als Kind solche Schmerzen zugefügt hatte. Die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, beugte er sich vor. »Halt den Mund, Saul, und hör auf Vater.«
Mit zornrotem Gesicht fuhr Saul zu ihm herum. »Er ist nicht dein Vater«, brauste er auf. »Ich hab gehört, was Mami zu dir gesagt hat, bevor sie gestorben ist. Also geh zum Teufel.«
Aus Bens Gesicht wich alles Blut. Er schlug mit dem Handrücken so fest zu, dass Saul von der Bank fiel. »Sag das in meinem Haus nie wieder«, flüsterte er mit vor Wut erstickter, heiserer Stimme.
Entsetzt von der heftigen Reaktion seines Vaters, blieb Saul ausgestreckt auf der festgestampften Erde des Fußbodens liegen und hielt sich die Hand an seine feuerrote Wange, die bereits anzuschwellen begann.
»Er ist mein Sohn, auch wenn ich nicht sein leiblicher Vater bin.«
Willie fühlte in sich eine neu erwachte Liebe zu dem Mann, der mit seiner Mutter verheiratet gewesen war. Bis zu jenem Moment hatte er Ben nie wirklich als Vater akzeptiert, sondern ihn immer als Konkurrent um die Aufmerksamkeit seiner Mutter gesehen.
»Nie wieder, Saul«, zischte Ben, um zu betonen, wie ernst es ihm mit seiner Warnung war. »Was du da gerade gesagt hast, hätte deiner Mutter das Herz gebrochen.«
»Tut mir Leid«, murmelte Saul, während er auf seinen Platz am Tisch zurückkehrte. Dort, wo sich ein Zahn von innen in seine Wange gebohrt hatte, schmeckte er Blut. Sein einziger Trost war, dass sein Vater ebenfalls zitterte, weil er es schon bereute, dass er seinem Sohn in seiner aufbrausenden Wut Schmerzen zugefügt hatte.
Er ist ein harter Bursche, dachte Ben. Eines Tages wird er der natürliche Erbe von Jerusalem sein. Bei diesem Gedanken kamen ihm Schuldgefühle, weil er Willie einfach beiseite schob, der den Besitz aufgrund seiner Stellung in der Familie eigentlich erben müsste. Blut ist dicker als Wasser. Es fiel Ben schwer, den unbehaglichen Gedanken abzuschütteln.
»Wann soll ich mit den Kindern aufbrechen?«, erkundigte sich Willie ruhig, und Ben war dankbar für diese Frage.
»Morgen. Du packst alles, was ihr für den Weg von Cloncurry nach Townsville braucht. Ich gebe dir einen Brief mit, in dem ich Solomon alles erkläre. Unterwegs kannst du dir in der Stadt Vorräte besorgen. Nimm auf jeden Fall genügend Kugeln und Schießpulver mit.«
»Nehmen wir den Pferdewagen?«, erkundigte sich Willie, und Ben nickte.
Jonathan hatte sich während des Wortwechsels zwischen seinem Vater und seinem aufsässigen Bruder ruhig verhalten und diesem sogar einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen, als er sich nach der Backpfeife wieder an den Tisch setzte. Obwohl er seinen Vater und die Farm ebenso wenig verlassen wollte wie sein Bruder, fühlte er – wenn auch mit schlechtem Gewissen – eine Spur von Erleichterung.
Er erinnerte sich vage an seine ersten Lebensjahre in Townsville, wo es viele Wunder und Freuden gab, die ihnen auf Jerusalem versagt blieben. Andere Kinder, mit denen sie spielen konnten, anstatt der zermürbenden Arbeit auf der Farm. Und Bücher, die er bald würde lesen können. Nein, für ein paar Jahre würde das Leben in Townsville gar nicht so schlecht sein. Außerdem hatten die Cohens eine Menge Geld und mussten nicht so schuften wie ihr Vater.
Am nächsten Morgen spannte Willie das beste Pferd vor den Wagen und packte den Proviant für die lange Fahrt nach Townsville: Mehl, Dosenfleisch, Zucker, Tee, Wasserschläuche, ein Gewehr und Munition, Segeltuch als Schutz gegen die Witterung und einen großen Sack mit Spreu für das Pferd. Sonst nahmen sie kaum etwas mit, denn sie besaßen nicht viel mehr.
Die beiden Jungen saßen hinten auf dem Wagen, während Becky neben Willie eine Puppe, die Jenny ihr aus Stoffresten genäht hatte, fest umklammert hielt – ihr einziges Spielzeug. Ihre goldenen Locken waren fettig und wirr, denn um ihr Haar hatte sich sonst ihre Mutter liebevoll gekümmert.
Willie ließ die Peitsche knallen, und der Wagen rumpelte über den Hof und an den neu eingezäunten Koppeln vorbei. Unter den schweren, mit Eisenreifen
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