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Auf den Flügeln des Adlers

Titel: Auf den Flügeln des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watt
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und die Straßen wurden von Gaslaternen gesäumt. Sie hatten das neu errichtete Excelsior Hotel schon fast erreicht, in dem Horace Michael untergebracht hatte, als Michael auffiel, dass die Senkgruben bei allem Fortschritt so stanken wie eh und je.
    Er hatte nur ein einziges Gepäckstück bei sich, das ihm auf seinen Reisen gute Dienste geleistet hatte und entsprechend mitgenommen aussah. Trotzdem hatte er nie daran gedacht, die alte Stofftasche zu ersetzen, die für ihn zum Symbol seines Lebens geworden war. Alles, was er brauchte, trug er in dieser Tasche bei sich: Rasiermesser, zwei Colts, zwei Sätze Kleidung zum Wechseln und ein verblichenes Foto von einem kleinen Jungen, der, ohne zu lächeln, mit ernstem Blick in die Kamera starrte. Das Bild hatte ihm seine Schwester, Kate Tracy, gegeben, der es wiederum seine Tante Bridget aus Sydney vor der Abreise des Jungen nach England geschickt hatte. Es war Michaels wertvollster Besitz, denn es zeigte seinen Sohn, der mittlerweile als Captain Patrick Duffy im Dienste Ihrer Majestät am Sudan-Feldzug teilnahm. Ein Sohn, der nicht wusste, dass sein Vater noch lebte.
    Bald hatten sie das Hotel erreicht, wo sich Michael unter dem Namen O’Flynn eintrug. In Neusüdwales wurde er immer noch für einen Mord gesucht, den er nicht begangen hatte. In den langen Jahren als Söldner hatte er viele Menschen getötet, die den Tod wahrscheinlich nicht verdient hatten. Aber jenes eine Mal, als er in Notwehr gehandelt hatte, wurde von den Behörden der südaustralischen Kolonie als Mord gewertet.
    Michaels Zimmer führte auf die obere Veranda hinaus. Von dort sah man auf die schlammigen Wasser des Flussarms, den er hatte überqueren müssen, um von dem Dampfer aus zum Kai zu gelangen. Er konnte die hohen Masten der kleinen Holzboote, die am Ufer lagen, erkennen. Um den Balkon spielte eine erfrischende Brise, und die Atmosphäre wirkte angenehm friedlich. Das nördliche Queensland wurde ihm aus vielen Gründen immer mehr zur Heimat. Hier lebte Kate mit ihrem amerikanischem Ehemann, seinem Freund Luke Tracy. Hier hatte der Mann, der sein Leben kontrollierte und ihn bezahlte, seinen Wohnsitz genommen. Und hier wurde er nicht als Mörder gesucht.
    Horace hatte eine Flasche eisgekühlten Champagner auf den Balkon bringen lassen. Die beiden Männer ließen sich auf bequemen Rohrstühlen nieder und sahen auf die Straße hinab. Horace erhob sein Glas. »Auf die Königin. Möge Gotte sie schützen!«
    »Auf Sankt Patrick – und zum Teufel mit allen Briten!«, erwiderte Michael.
    Diese respektlose Erwiderung auf den Toast war für die beiden vor Jahren zu einem Insider-Witz geworden. Sie kippten einen Schluck des kalten, perlenden Getränks hinunter und machten es sich gemütlich, um gedankenverloren in den blauen Himmel hinter dem Geländer hinauszustarren. Das vertraute Ritual hatte in beiden alte Erinnerungen wachgerufen.
    »Ich hätte Sie vierundsiebzig in Cooktown bei unserer ersten Begegnung erschießen sollen«, knurrte Michael leise. Horace kicherte bei der Erinnerung daran, wie er den gefährlichen, mit allen Wassern gewaschenen Sohn irischer Einwanderer zum ersten Mal gesehen hatte, als er gerade seinen Rumrausch ausschlief.
    »Dann hätten Sie nie den exotischen Orient kennen gelernt, und Ihre Rechnung mit Mort wäre wahrscheinlich immer noch offen«, erwiderte er. »Und die lukrative Belohnung, die Sie von der bis in alle Ewigkeit dankbaren Familie der Prinzessin aus Cochinchina erhalten haben, wäre Ihnen auch entgangen.«
    »Vielleicht«, meinte Michael nachdenklich. »Vielleicht hätte ich mein Leben aber auch als Landschaftsmaler verbracht, anstatt ständig in der Angst zu leben, dass mir jemand eine Kugel in den Kopf jagt.«
    »Sie haben in den letzten zehn Jahren viel für das britische Empire getan, Michael. Das muss Ihnen doch etwas wert sein.«
    »Mir blieb keine Wahl, Horace«, konterte Michael. »Dafür haben Sie und Ihre Kontaktleute in den Kolonien schon gesorgt. Aber das ist jetzt vorüber. Ich bin zu Hause, und von der Vergangenheit ist keine Rede mehr.«
    Horace spielte mit seinem Stock und klopfte mit der Spitze gegen seine Finger. Dann räusperte er sich und beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Nicht ganz, mein lieber Junge. Von Fellmann ist zurück, und ich glaube, er plant eine zweite Expedition, um Neuguinea für den Kaiser zu beanspruchen.«
    Michael starrte auf die hölzernen Bodenbretter des Balkons. »Ich bin nach Hause gekommen, um herauszufinden, was von

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